Was mir Sorgen macht: Irrationale, manipulierbare Menschen
Wenn rationale Zugänge blockiert sind
Letztlich bleibt man hilflos, wenn jemand seine subjektive Wahrnehmung und Wahrheit als objektive Tatsache behauptet und sich von keinem Argument davon abbringen lässt. Es erinnert an den abgeschmackten Witz über einen Geisterfahrer auf der Autobahn, der die Geisterfahrermeldung im Radio hört und dazu lakonisch meint: Was heißt hier ein Geisterfahrer.
Lässt man jene Personen unberücksichtigt, die krank sind, also verwirrt, weil neurophysiologisch beschreibbare Krankheitsbilder vorliegen, so gibt es eine — wie mir scheint — stark wachsende Zahl an Menschen, die gesund und fit sind, die aber Probleme haben mit einer rationalen, kritischen Selbstwahrnehmung und mit der Überprüfung von Argumenten, die dieser entgegenstehen. Sie setzen sich und ihr Sicht auf die Welt absolut.
Vertrauen spielt eine nicht unerhebliche Rolle
Dieses Phänomen ist besonders häufig dort anzutreffen, wo Misstrauen gegenüber anderen und deren Argumenten und vorgebrachten Fakten vorherrscht, wo anderen eher unterstellt wird, sie behaupteten wider besseren Wissens anderes, nur um die eigenen Interessen besser durchsetzen zu können. Wenn dann noch hinzukommt, dass diese Personen nicht in der Lage oder willens sind, den eigenen Standpunkt, die eigenen Argumente, die eigene Weltsicht kritisch zu hinterfragen, reicht die Behauptung an sich häufig als endgültiges Argument aus.
Zur Illustration: Mein Nachbar, dem Marder wiederholt Gummischläuche im Auto durchgebissen hatten, schaffte sich ein Gerät an, das über einen Bewegungsmelder aktiviert, einen sehr hohen, äußerst unangenehmen Pfeifton abgab. Dieser sollte Marder verschrecken. Nun war dieses Gerät nicht sonderlich genau justiert und ich konnte den hohen Ton durch geschlossene Fenster hindurch hören. Ich sprach meinen Nachbarn an. Er versicherte, dass weder er noch seine Frau etwas hören könnten und dass auf der Verpackung des Gerätes auch stünde, der Pfeifton sei für das menschliche Ohr nicht wahrnehmbar.
Da zwischen uns ein gut nachbarschaftliches Verhältnis besteht, entwickelte sich die Angelegenheit so: Wir überlegten wie wir das gemeinsam überprüfen könnten. Wir testeten das folgendermaßen: Ich drehte mich um und ging ein wenig weg. Mein Nachbar schaltete das Gerät ein und aus. Ich quittierte jeweils, ob ich das Pfeifen hörte oder nicht. Mein Feedback stimmte mit seinem Ein- und Ausschalten überein. Obwohl mein Nachbar nichts gehört hatte, war es für ihn nun evident, dass ich den Pfeifton hören konnte. Er brachte das Gerät zurück.
Hätte kein gutes nachbarschaftliches Verhältnis bestanden, wäre es zu keinem Test gekommen und der Nachbar hätte mir böswillige Unterstellungen nachgesagt, sich verbeten, ihn für taub hinzustellen und er hätte das Gerät wohl weiter genutzt - in der festen Überzeugung, dass der Pfeifton für das menschliche Ohr nicht wahrnehmbar sei und er somit im Recht sei.
Verschwörungstheorien haben Hochkonjunktur
Einfache Lösungen haben bei gar nicht so wenigen Menschen Vorrang, sei es aus Denkfaulheit oder mangels Bildung oder emotionaler Überforderung, womöglich auch mangels kognitiver Fähigkeiten.
Das im Marketing bekannte, aus der Sozialpsychologie stammende Elaboration Likelihood Modell hilft zu verstehen, warum so viele Menschen Verschwörungstheorien aufsitzen. Es geht dabei um persuasive Kommunikation, d.h. um Kommunikation, die darauf zielt, Einstellungen und Verhalten von Menschen zu beeinflussen. Dabei dürfte der periphere Weg der Informationsverarbeitung bei allen, die Verschwörungstheorien auf den Leim gehen, besondere Bedeutung haben. Die Theorie besagt, dass hier Argumente und deren Qualitäten weniger bis keine Rolle spielen. Stattdessen wirken periphere Stimuli, vor allem auf emotionale Weise. Als maßgebliche Gründe, den peripheren Weg einzuschlagen, gelten u.a. ein geringes Involvement, bzw. die mangelnde Fähigkeit sich kritisch mit Informationen auseinanderzusetzen.
Der periphere Weg reduziert Komplexität. Dies erhöht die Anfälligkeit für Verschwörungstheorien und Propaganda ebenso wie für Werbung. Als peripherer Stimulus gewinnen die Resonanzsysteme des Sozialen Webs, insbesonder sozialer Netzwerke Bedeutung, allen voran Facebook und Twitter.
Echokammern als Verstärker
Eine Facette des Web, insbesondere des durch Algorithmen zunehmend personalisierten Web sind Echokammern (echo chamber) und der dadurch angestoßene sog. Echokammer Effekt. Echokammern entstehen bspw. durch personalisierte Priorisierung der Suchergebnislisten von Suchmaschinen (Google, bzw. Filter Bubble), wie insbesondere in Sozialen Medien, vor allem in einschlägigen Sozialen Netzwerken wie Facebook. Unter dem Titel „Radikal dank Facebook” hat Christian Stöcker im Spiegel Online Lesenswertes dazu geschrieben (25.1.2016).
Die Rückkopplungen in Echokammern führen dazu, dass Menschen glauben, sie teilten die Meinung einer größeren Gruppe, ihre Meinung sei verbreitet und sie selbst dadurch Teil einer Bewegung. Dadurch wird eine Gruppendynamik ausgelöst, die u.a. zum bestimmenden Stimulus der Veränderung von Einstellung und Verhalten werden. Die tlw. aufwändige kognitive, kritische Auseinandersetzung mit Informationen und Inhalten wird abgekürzt, indem die Meinungen und Einstellung und vielfach Verhaltensmuster der Peergroup übernommen werden. Es lohnt die Relektüre von Ortega y Gasset Der Aufstand der Massen (1930) und Elias Canetti Masse und Macht (1960), aber auch des bereits 1911 erschienen Buches Psychologie der Massen von Gustave Le Bon.
Was bei Echokammern in Sozialen Medien noch hinzukommt ist die Anonymität, zumindest die Möglichkeit, anonym bleiben zu können, die Überzeugung, sich weitgehend gehen lassen zu können, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.
Netzwerkeffekte bei Facebook, Twitter & Co
Neben Filter-Bubbles spielen vor allem bei Facebook Algorithmen eine wichtige Rolle, insbesondere der, vor Jahren als Edge-Rank viel diskutierte Algorithmus. Hier wird die mögliche Relevanz von Updates danach beurteilt, ob zwischen Nutzern eine Beziehung herrscht, auf welche Weise Interaktionen stattfinden und wie häufig das der Fall ist. Zudem wird dabei auch das jeweilige Netzwerk einbezogen, d.h. in welchem Umfang die jeweiligen Freunde gemeinsame sind, ähnliche Interessen teilen etc. D.h. diese Filter-Algorithmus verstärken die Gefahr, in Echokammern zu geraten, bzw. zielen auf diesen Effekt ab. In Sozialen Netzwerken werden Echokammern daher auch häufig als Filterbubbles bezeichnet.
Manipulation von Trends und Newsfeeds
Gizmondo ließ am 9.5.2016 ein Bombe platzen. Miachel Nunez enthüllte in seinem Beitrag „Former Facebook Workers: We Routinely Suppressed Conservative News”, dass Facebook gezielt Nachrichten manipuliert und damit seine Nutzer. Ein anonymer Beitrag eines Facebook Mitarbeiters enthüllte im The Guardian „I worked on Facebook's Trending team – the most toxic work experience of my life” die Zustände im sog. Trending Team. Es geht dabei vorrangig um Manipulation von News Trends. Es wurden Nachrichten unterdrückt und oder als Trending gepusht, nicht so sehr durch Algorithmen, sondern durch eine große Zahl von Mitarbeitern. Ausführlich hat die Problematik Tarleton Gillespie in seinem Beitrag „The human curators behind Facebook Trends” dargestellt.
Als Folge der Enthüllung und der massiven Kritik hat Facebook die Mitarbeiter des Trending Team entlassen. Ein Algorithmus sollte künftig deren Arbeit leisten. Dieser erwies sich jedoch innerhalb kurzer Zeit als fehleranfällig. Er war nicht in der Lage Fake-Meldungen zuverlässig als solche zu erkennen und listete diese selbst als Trending News. Lesenswert ist in diesem Zusammenhang der Beitrag von Craig Sliverman in BuzzfeedNews „Here’s Why Facebook’s Trending Algorithm Keeps Promoting Fake News”.
Dass Algorithmen fehlerfrei und unparteiisch arbeiten, hält sich als Fama hartnäckig. Jedoch:
Algorithmen sind nicht neutral, sie werden von Menschen geschrieben.
Rechtzeitig zu den Präsidentschaftswahlen in den U.S.A. hat Facebook seinen Algorithmus angepasst: seither werden Updates von Nutzern höher gewichtet als Informationen von Nachrichtenagenturen. Mit anderen Worten; es finden sich mehr Meinungen und Gerüchte in den Newsfeeds der Nutzer als Nachrichten von seriösen Nachrichtenagenturen. Angesichts der Tatsache, dass z.B. 44 Prozent der U.S. Amerikaner Nachrichten und Informationen ausschließlich über Facebook konsumieren ist das eine beängstigende Entwicklung.
Insgesamt ist Facebook prädestiniert als Nährboden für Hoaxes, Verschwörungstheorien, üble Nachrede, Verhetzung usf. Daher ist es letztlich nicht verwunderlich, dass mittlerweile Hasspostings auf Facebook zu einem geradezu alltäglichen Phänomen geworden sind. Ein Unternehmen wie Facebook steht damit letztlich in Verdacht, aus kommerziellen Gründen dies nicht nur zu tolerieren, sondern sogar zu pushen. Daher:
Das faktische Informationsmonopol Facebook braucht staatliche Kontrolle.