Werden Bürger in ihren Sorgen und Ängsten gesehen?
Es ist ein massiv ideologisch vermintes Terrain, über eigene Ängste und Sorgen zu sprechen, sofern es sich um gesellschaftliche Entwicklungen handelt. Sorgen und Ängste sind keine rationalen Größen und deshalb ist ihnen mit der abwehrenden Versicherung, man brauche sich keine Sorgen machen oder Ängste haben, nicht beizukommen. Wer das ignoriert, riskiert, dass sich viele Menschen nicht ernst genommen fühlen, an den Rand gedrängt vorkommen, übergangen und missachtet.
Ich selbst sehe mich als liberalen, zugewandten Menschen, parteilos, gebildet und kultiviert. Dennoch passiert es mir, dass ich abends manche Stadtbereiche meide, Umwege in Kauf nehme, um auf gut beleuchteten Wegen nach Hause zu kommen. Das Quartier rund um die Straßenbahnhaltestelle Turmstraße in Linz ist wegen der verkehrsgünstigen Lage ein Hotspot des Drogenhandels. Steigt man aus einer Straßenbahn aus, so kommt es schon vor, dass man sich durch die Dealer seinen Weg bahnen muss. Es sind zumeist junge Menschen dunkler Hautfarbe und so unschwer als fremdländisch zu erkennen. Obwohl die Statistik keine Kapitalverbrechen für dieses Quartier ausweist und ich nicht zur Käufer- und damit Zielgruppe der Dealer zähle, es auch keine mir bekannte Beschaffungskriminalität im und rund um das Quartier gibt, fühle ich mich wie viele andere unwohl und bedroht. Bewohner*innen erleben, dass trotz eingerichteter Schutzzone die Zahl der Dealer zunimmt, der Drogenumschlag floriert und die Dealer teilweise Passanten belästigen, weil sie sie mit potenziellen Kunden verwechseln. Mittlerweile haben die Dealer ihre Geschäfte auf zwei weitere Straßenbahnhaltestellen ausgedehnt und pendeln wohl auch zu den Depots und süchtigen Konsument*innen. Die Politik der Linzer Stadtregierung und die Polizei werden dem blühenden Drogenhandel offenbar nicht Herr. Abgesehen von einigen wenigen Polizeieinsätzen scheint das Quartier von Politik und Polizei aufgegeben worden zu sein - zumindest solange es zu keinen Kapitalverbrechen kommt. Bei Bürger*innen wachsen Besorgnis und Ärger. Damit wächst auch die sogenannte „Fremdenfeindlichkeit”. Solche Fälle gibt es in Österreich zu Zehntausenden.
Die Lebenswelten vieler Menschen verändern sich in einer sie oftmals überfordernden Geschwindigkeit. Ihr Verhaltensrepertoire ist darauf nicht vorbereitet und das Gefühl des Kontrollverlusts verstärkt Ängste und Sorgen.
Es ist daher durchaus nachvollziehbar, wenn diese Bürger*innen zu extremen Parteien abwandern, die ihnen versprechen, sich um sie und ihre Sorgen zu kümmern und ihre Ängste ernst zu nehmen. Die überwiegende Mehrheit dieser Menschen ist symptomatisch weder überdurchschnittlich antisemitisch noch rechtsradikal. Sie ist vor allem verärgert, weil sie sich von der Politik und den öffentlichen Verwaltungen und staatlichen Organen ignoriert fühlen.
Es ist wichtig, nicht die ideologische Keule zu schwingen, sondern genau hinzusehen, was zu einem so massiven Rechtsrutsch großer Teile der Bevölkerung führte und weiter führen wird. Solange die etablierte Politik, das nicht oder nicht nachvollziehbar und mit vorzeigbaren Ergebnissen tut, kann dieser Trend durchaus unsere Demokratie gefährden, dann, wenn Rechte Parteien diese Entwicklung nutzen und missbrauchen. Und genau das passiert zur Zeit.
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