Steigbügel gesucht - Vorwurf der Kunstfälschung
Vorverurteilung trotz Unschuldsvermutung
So schnell kann es gehen. Da berichtet die Passauer Neue Presse (PNP) am 17. November zunächst unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte von einem "Kirchenmaler aus Passau", der verdächtigt wird, eine Reihe von Kunstwerken gefälscht und in Umlauf gebracht zu haben. Tags darauf scheut sich dieselbe Zeitung nicht mehr, den Namen des Beschuldigten zu nennen, obwohl im selben Artikel die Oberstaatsanwältin wie folgt zitiert wird: "Wir sind noch im Bereich der Unschuldsvermutung". Die Autorin dieses Beitrags bleibt mit "ra" in Deckung.
So wie die PNP treten auch die Süddeutsche Zeitung, Die Welt, Die Frankfurter Allgemeine etc. die Persönlichkeitsrechte von Christian Goller mit Füßen. Sie alle scheinen einen Kunst-Skandal großen Ausmaßes zu wittern und wollen mit entsprechender Berichterstattung vorne mit dabei sein. Boulevard Journalismus nannte man das zu Zeiten, als es das noch gab, was Zeitgenossen seriösen Journalismus nannten.
Was Peter Dathe, den Präsidenten des Landeskriminalamts in München, dazu befähigt, von einem "Eingriff in die deutsche Kunstgeschichte" zu sprechen sofern sich der Tatverdacht bestätigen sollte, bleibt fraglich. Kunsthistorische Expertise besitzt er keine.
Gegen Christian Goller wird derzeit wegen des Verdachts der Kunstfälschung in mindestens 40 Fällen ermittelt. Manche sprechen von 50 und wieder andere von einer wohl nicht abschätzbaren Zahl gefälschter Meisterwerke, vornehmlich Cranachs. Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass sich der Beschuldigte mit drei weiteren Tatverdächtigen Personen in den letzten Jahrzehnten 500Tausend Euro durch gewerbsmäßigen Betrug ergaunert habe.
Michael H. auf der Jagd nach Christian G.
Der Kunsthistoriker Michael H. hat die Ermittlungen ins Rollen gebracht. Wie Dathe so dramatisiert auch er, wenn er vom "größten Fälscherskandal der letzten 100 Jahre" spricht. Das mag wohl seinem Tunnelblick geschuldet sein.
Michael H., der sich lt. Wiki der Uni Heidelberg erst seit 1999 intensiver mit der Cranach Forschung beschäftigte, baut seit 2006 an einem digitalen Werkverzeichnis unter Cranach. net. Obzwar in Kunstgeschichte promoviert (2010) kommt Michael H. vom Kommunikationsdesign, der Archäologie und der Musikwissenschaft her. Nun würde sich die Frage lohnen, wie es Michael H. binnen weniger Jahre gelang, sich diejenige Expertise zu erarbeiten, die offenbar vielen Kolleg_innen in Auktionshäusern, der Forschung und Restaurierungswissenschaft usf. bislang fehlte, um dem 'größten Fälscherskandal des Jahrhunderts' auf die Spur zu kommen. Immerhin hatte er sich selbst eine Christian Goller unterstellte Fälschung andrehen lassen (lt. SZ vom 17.11.14).
Eine Ausnahmebegabung provoziert
Vor gut 30 Jahren habe ich Christian Goller in seiner Mühle kennengelernt. Wenige Jahre zuvor war er ins Fadenkreuz des Verdachts geraten, einen Grünewald gefälscht zu haben, der letztlich vom Cleveland Museum of Art in Ohio gekauft und gezeigt wurde - als Original. Die Ermittlungen gegen Christan Goller wurden eingestellt. Es konnte ihm letztlich keine Straftat nachgewiesen werden.
Als ich bei der Mühle in der Christian Goller wohnt und arbeitet ankam, gab es dort viele Gänse und Perlhühner, die frei herumliefen. G. meinte später mir gegenüber, dass das besser sei als jegliche Alarmanlage. Zudem machte ihr Lärm ihn nicht nur auf Besucher_innen aufmerksam, sondern signalisierte ihm auch, was er von diesen zu halte habe. Er meinte, dass sich bei bestimmten Besucher_innen die Perlhühner nicht wirklich beruhigen wollten. Im Haus gab es, wie ich erfuhr einen weiteren Test: seine Katze. Stellte sie die Haare auf, war der Besuch schnell wieder aus dem Haus.
Christian Goller erzählte mir, dass er als junger Mann viel Zeit in der alten Pinakothek in München zubrachte und immer wieder die Alten Meister bestaunte und erforschte. In Stuttgart studierte er Restaurierung und Konservierung. Er hat sich ein ungeheures Wissen angeeignet, kannte die einschlägige Literatur und Handbücher und wusste vieles darüber hinaus. Er erklärte mir, wie er aus dem Chitinpanzer eines in Mittelamerika vorkommenden Käfers ein bestimmtes Pigment gewinnen konnte, wie es in der Kunst vor Jahrhunderten verwendet wurde.
Er hatte eine Gabe der Empathie mit Künstler und Werk Alter Meister und er vermochte so sogar verschollene Bilder oder solche, die zwar in der Literatur erwähnt sind aber nie einem Kunsthistoriker unters Auge gekommen waren, neu zu schaffen. Er beeindruckte mich mit seiner enormen Expertise, Meisterschaft und seiner Leidenschaft.
Sein Können hatte sich bei Sammlern herumgesprochen. Wer ein hochkarätiges Kunstwerk besitzt und es im Büro oder im Haus hängen haben will, sieht sich mit enormen Versicherungskosten konfrontiert - von aufwändigen und kostspieligen Alarmsicherung ganz abgesehen. Nicht wenige haben sich daher an Christian Goller mit dem Auftrag gewandt, eine meisterhafte Kopie herzustellen. Diese sollte im Haus oder Büro hängen, während das Original im Safe mit deutlich geringeren Versicherungslasten verwahrt werden konnte. Das war schon damals offenbar ein sehr einträgliches Geschäft.
Zu keiner Zeit habe er eigene Kopien / Werke als Originale ausgegeben, Signaturen gefälscht, um sich einen geldwerten Vorteil zu verschaffen. Er habe seine Arbeiten verkauft, als seine Arbeiten. Das, was diese Werke zu Fälschungen machte, passierte später und dafür sei er letztlich nicht verantwortlich. Das scheint auch heute noch zu gelten. So schildert das auch die SZ vom 20.11.14 schon deutlich vorsichtiger, als sie einen Händler aus Pfarrkirchen zu Wort kommen lässt. Ihm hatte G. eine Cranach Kopie verkauft und diese sei für 900 EUR weiter verkauft worden - als Werk von Christian Goller . Michael H. hingegen behauptet lt. Medienberichten, herausgefunden zu haben, dass Christian Goller weiter gegangen sei und Signaturen gefälscht habe. Offengestanden bin ich gespannt, wie er für diese Behauptung den Nachweis erbringen will.
Die 15 Minuten Mikroruhm sind vorbei - nun heißt es liefern
Die Oberstaatsanwältin hat Recht, wenn Sie darauf verweist, dass die Herstellung und der Verkauf von Kopien oder Bildern, die "alla maniera di …" gemalt sind, nicht strafbar ist, solange dies nicht unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in betrügerischer Absicht geschieht.
Nun hat die Staatsanwaltschaft einiges zu tun. Sie muss zunächst die Fälschungen zweifelsfrei als solche nachweisen. Sie muss diese eindeutig Christian Goller zuweisen können und sie muss darüber hinaus nachweisen können, dass die gefälschten Signaturen ebenfalls von ihm stammen und das in betrügerischer Absicht. Kein leichtes Unterfangen und der Ausgang ist alles andere als gewiss.
Daher ist es mir völlig unverständlich, wie Medien und wohl auch die Staatsanwaltschaft diesen Anfangsverdacht derart aufblasen konnten und trotz Unschuldsvermutung den guten Leumund eines Bürgers und seine Privatsphäre so missachten.
Bei Michael H., der schon länger versucht Christian Goller vor Gericht zu bringen, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass wohl auch andere als die genannten Motive vorliegen könnten.
Manchmal führt die Frage, wem eine vergleichbare Vorgehensweise nutzt, zu neuen Erkenntnissen und Einsichten.
o.A., Kunstfäschung im großen Stil. Passauer Kirchenmaler verdächtigt, in: PNP vom 17.11.14; URL=http://www.pnp.de/region_und_lokal/stadt_und_landkreis_passau/passau_stadt/1493735_Kunstfaelschung-im-grossen-Stil-Passauer-Kirchenmaler-verdaechtigt.html[Zugriff 23.11.14]
Rabenstein, E., Kunstkrimi um Passauer Kopisten - Landeskriminalamt ermittelt, in: PNP vom 18.11.14; URL=http://www.pnp.de/region_und_lokal/stadt_und_landkreis_passau/passau_stadt/1494811_Kunst-Krimi-um-Passauer-Kopisten.html [Zugriff 13.11.14]
Kanning, S., Restaurator soll Renaissancebilder gefälscht haben, in SZ vom 18.11.14; URL=http://www.sueddeutsche.de/bayern/verdaechtige-werke-restaurator-soll-renaissance-bilder-gefaelscht-haben-1.2224258 [Zugriff 23.11.14]
Kronsteiner, O., Von Cranach dem Allerjüngsten, in: Der Standard vom 28.11.14; URL=http://derstandard.at/2000008768253/Von-Cranach-dem-Allerjuengsten [Zugriff 28.11.14]
Schäfer, A., Der skurile Fälscherskandal aus Niederbayern, in: Die Welt vom 18.11.14; URL=http://www.welt.de/regionales/bayern/article134463395/Der-skurrile-Faelscherskandal-aus-Niederbayern.html [Zurgirff 23.11.14]
Karich, S., Copyshop, in: FAZ vom 19.11.14; URL=http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunstfaelschung-copyshop-13275046.html [Zugriff 23.11.14]
Kanning, S., Cranach der Jüngste, in SZ vom 20.11.14; URL=http://www.sueddeutsche.de/bayern/mutmasslicher-kunstfaelscher-cranach-der-juengste-1.2227571 [Zugriff 23.11.14]
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