Was mir Sorgen macht: Denkzettelwahl als Russisches Roulette
Denkzettel verpassen ist ein weit verbreitetes Verhaltensmuster. Die einen quittieren damit, dass sie mit etwas nicht einverstanden sind, für andere ist das eine Retourkutsche, die so richtig weh tun soll, für wieder andere ist das ein Handeln aus dem Hinterhalt, von Trollen einmal ganz abgesehen.
Ganz besonders deutlich wird das bei Wahlen. Derzeit gehen Analysten davon aus, dass der deutlich überwiegende Teil derer, die die AfD wählen, Protestwähler:innen sind, die den regierenden Parteien, aber auch der CDU/ CSU einen Denkzettel verpassen wollen. Das ist aber ein gefährliches Spiel am Abgrund. Es ist wie beim Russisch Roulette. Niemand weiß, ob die Denkzettelwahl die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit nicht unkorrigierbar beschädigt.
Denkzettel Wähler:innen gehen fälschlicherweise davon aus, dass sie bei einer weiteren Wahl wieder eine andere Entscheidung treffen können. Aber das ist nicht zwangsläufig so. 1933 gab es eine Wahl, die die NSDAP an die Macht brachte. Danach hatten die Wähler:innen keine Möglichkeit mehr, Hitler abzuwählen. Hitler kam ganz regulär an die Macht und konnte so die Weimarer Republik in die Diktatur der NSDAP umbauen. In Ungarn kam Victor Orban an die Macht und das gleich mit einer Zweidrittelmehrheit, mit der er im großen Stil die Verfassung ändern konnte und sicherstellen, dass Oppositionsparteien künftig keine Chancen mehr haben, Wahlen zu gewinnen. In der Türkei hat sich Erdogan durch Abstimmung ein Präsidialsystem bestätigen lassen, das ihn de facto zu einem Autokraten ermächtigt, der die Opposition nicht weniger verfolgt und Wahlen damit manipuliert, als das in Diktaturen der Fall ist. Auch in Polen glaubten viele, sie müssten den Liberalen einen Denkzettel verpassen, was die PiS an die Macht brachte, die seither das Rechtssystem mit dem Ziel ihres Machterhalts so radikal umbaut, dass auch in Polen nicht mehr wirklich von freien und gerechten Wahlen gesprochen werden kann.
Viele weitere Beispiele zeigen, dass eine Denkzettelwahl nicht selten die letzte freie Wahl ist und dass die Wähler:innen das im Nachhinein nicht mehr korrigieren können. Dann wird es heißen: Das aber wollten wir nicht. Hätten wir das vorher gewusst.
Eine Denkzettelwahl ist zumeist eine Wahl, in der Wähler:innen häufig nicht wirklich darüber nachdenken, welche Folgen sie haben kann und ob sie, über eine billige Zornableitung hinaus, unter diesen Folgen auch leben wollen und können.
Im besten Fall sind Denkzettel Wähler:innen naiv, häufig politisch ignorant und nicht wenige fahrlässig dumm, vor allem, wenn sie bei einer Denkzettelwahl rechtsextreme Parteien wie die AfD in Deutschland oder die FPÖ in Österreich stärken.
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