Was mir Sorgen macht: Missstände bei Pflege Pflegebedürftiger
Betagte Männer und Frauen haben in der Regel ein ereignisreiches Leben hinter sich, haben vielfach den Krieg noch erlebt, jedenfalls die Folgen von Zerstörung und die Herausforderungen des Wiederaufbaus, haben schwer gearbeitet, vor allem Frauen zu einem ungerechten Lohn, haben Kinder bekommen und aufgezogen. Sie haben vielfach schwere Zeiten durchlebt und überstanden. Wer im fortgeschrittenen Alter dann zunehmend auf Hilfe angewiesen ist, auf Pflege und schließlich auf Pflege in einem Alten- oder Seniorenheim, sieht sich nicht nur dem Lebensende nahe, sondern ist häufig Bevormundung und menschenunwürdigem Umgang ausgesetzt.
Ein gravierender Lebenseinschnitt - Verlusterfahrungen
Zweifelsohne bringt für die meisten Menschen die Übersiedlung in ein Alten- oder Seniorenheim einen Verlust an selbstbestimmtem Leben. Über Jahrzehnte standen die Menschen Ihren Mann oder ihre Frau und meisterten ihr Leben. Nun haben sie sich einer Hausordnung, den Anweisungen des Personals und der Ärzte in der Regel widerspruchslos zu unterwerfen. Je stärker die Persönlichkeit ausgeprägt ist, desto schwerer fällt die Unterwerfung und Anpassung.
Die Menschen haben den gewohnten Lebensraum verloren, die räumliche Mitte ihres Lebens und haben damit einen großen Teil ihres Lebens bereits verlassen. Selbst die, die sich ein Einzelzimmer leisten können, müssen sich nun anstatt mit einer Wohnung mit einem Zimmer begnügen. Viele Erinnerungen finden hier keinen Platz. Nur Notwendiges kann mitgenommen werden und das eine oder andere Bild oder Möbel. Wer nicht so vermögend ist, muss sich noch weiter bescheiden, denn ein Doppelzimmer, oftmals nicht viel größer als die Einzelzimmer, bietet nur einen Schrank und einen Nachttisch, um Kleidung und liebgewordene Dinge unterzubringen und eine Wand zum Aufhängen von Bildern. Mehr geht in der Regel nicht. Das was zurückgelassen wird, wir häufig vernichtet, wenn nicht gerade die Kinder oder Verwandte dafür Verwendung haben. Der Einschnitt ist eine Amputation.
Es mag auch einige wenige geben, für die die Übersiedlung in einen Alten- oder Seniorenheim eine geglückte Flucht aus unhaltbaren Umständen bedeutet, dort, wo die familiären Verhältnisse zerrütten sind, die Pflege und Versorgung im familiären Umfeld katastrophal ist, sie vernachlässigt wurden, oftmals auch Gewalterfahrungen machen mussten. Das kommt vor, leider gar nicht so selten, bleibt aber doch eher die Ausnahme.
Entmündigung und Demütigung
Wer sich nicht unterwirft, wer nicht anerkennt, dass das Leben nicht mehr selbstbestimmt ist, sondern durch die Organisation von Tagesabläufen und Routinen bestimmt wird, egal, ob das passt oder nicht, wer sich nicht den Anweisungen und der teils gewöhnungsbedürftigen Pflege klaglos unterwirft, wird gebrochen. Die soziale Dynamik ist dabei im Grunde dieselbe wie so häufig in Schulen, beim Wehrdienst und im Beruf oder auch in Beziehungen.
Es gibt ein ganz klares Kräfteverhältnis, das weidlich strapaziert wird, um alte Menschen mit eigener Persönlichkeit in eine pflegeleichte Form und ein angepasstes Verhalten zu pressen, nicht selten auch unter Medikamentenmissbrauch. Das alles ist bekannt. Es wird pragmatisch hingenommen, um den Ablauf reibungsfrei organisieren zu können. Verletzungen von Persönlichkeitsrechten bis hin zu Menschenrechtsverletzungen werden unkritisch in Kauf genommen. Wem es nicht passt, der kann sich ja ein andere Heim suchen. Dabei sind die Heime, in denen die Umstände anders und verträglicher sind, rar und oftmals so teuer, dass sie keine Alternative darstellen.
Zumeist sind die alten Menschen hoffnungslos ausgeliefert. Die einzige Hoffnung bietet für Viele nur der Tod. Dass viele Senioren schon in den ersten sechs Monaten, ein großer Teil schon im ersten Jahr stirbt kommt wohl nicht von ungefähr.
Der organisierte Abgang - Zu Tode pflegen
Wer trotz hohen Alters gesund ins Altenheim kommt, wird schnell Vitalität einbüßen und kränklich werden, nicht nur alt sein, sondern sich auch alt und schwach fühlen. Zu wenig Bewegung und zumeist nicht altersgerechte Ernährung, fehlende Beschäftigung und Mobilisierung, Einsamkeit und Kränkungen - das hält niemand länger aus, ohne krank zu werden.
Wer nach einer Übersiedlung in die neue Lebensumgebung schlecht schläft oder depressiv wird, wird medikamentiert. Antidepressiva, Schlafmittel sind ebenso selbstverstänldich im Einsatz wie Blutdruckmedikamente.
Wer bereits krank, womöglich schwer krank ist und einen entsprechend hohen Pfelgegrad hat, wird gar nicht so einfach einen Pflegeplatz finden. Es gibt Altenheime, Seniorenresidenzen, die bereits bei Pflegegrad 3 zögern. Die Pflege wird dann aufwändig und die Rendite ist, je höher der Pflegegrade desto geringer, sofern man nicht davon ausgeht, dass diese Personen systematisch vernachlässigt werden.
Auch die medizinische Versorgung zielt häufig darauf, schnelle Ergebnisse zu erzielen. So werden bei Verdauungsproblemen anstelle auf regelmäßige Bewegung, altersgemäße Gymnastik zu drängen, Medikamente verschrieben, teils Schmerzmittel. Es kommt wohl nur sehr selten vor, dass sich ein Arzt den Essensplan ansieht, um hier mögliche Ursachen für Beschwerden zu finden. Das Zusammenspiel von Pflegemanagement und Arzt darf nicht gestört werden. Immerhin empfiehlt die Hausleitung in vielen Fällen die Ärzte.
Abwehr der Angehörigen
Viele Angehörige kümmern sich um ihr Mutter, ihren Vater im Altenheim, nehmen Anteil und machen sich Sorgen, ob die Pflegequalität ausreichend ist, ob es Mutter oder Vater dort gut geht. Schnell aber wird die Sorge der Angehörigen als Kontrolle missverstanden, vor allem dort, wie es den Anschein hat, wo Kontrolle tatsächlich notwendig wäre. Beobachtungen werden damit abgetan, dass Mutter oder Vater ganz zufrieden sind, wenn sie keinen Besuch haben, dann aber in ein Jammern fallen, ohne Grund. Oft wird massiver Druck auf die Bewohner:innen ausgeübt, sich nicht bei Angehörigen zu beschweren und zu petzen, wenn sie mal grob angefasst würden, angeschrien oder ins Bett geworfen werden, wenn es nicht schnell genug geht. So geraten die Bewohner:innen in einen Zwiespalt: Sie wollen, dass Missstände abgestellt werden und möchten sich daher an ihre Verwandten wenden, sie wissen aber auch, dass diese nur zu Besuch sind, sie aber mit den Pfleger:innen ständig leben müssen. Auch die Angehörigen sind in einem Zwiespalt denn häufig nehmen sie das Dilemma wahr ohne effektiv gegen Missstände etwas ausrichten zu können.
Beschwerden bei der Hausleitung, Heimaufsicht oder dem Medizinischen Dienst sind zumeist nicht erfolgreich. Eher verschlechtert sich die Situation, da diese Beschwerden vielfach sanktioniert werden. Der Hinweis, man werde bei fortgesetzter schlechter Nachrede den oder die Bewohner:in kündigen, kommen da schon mal vor, auch wenn das gar nicht so einfach ist - aber was wissen die verschüchterten Alten. Es gibt nachgewiesene Fälle, wo wiederholte Hinweise auf Misstände, Beschwerden und Anzeigen nichts fruchteten, dass schließlich erst investigativ recherchierende Journalist:innen und Sendungen im Fernsehen etwas in Gang bringen und auch da nur zaghaft. In Bayern gibt es dazu noch nicht lange zurückliegende einschlägige Fälle, die schließlich auf Grund öffentlicher Kritik zu Schließungen ganzer Alten- bzw. Seniorenheime geführt haben, zb. in Seniorenresidenz Schliersee. Auch die Recherchen des Bayerischen Rundfunks zu den Zuständen im Seniorenresidenz Wohnheim Innblick verschrecken.
Verwandte sind am Abwägen, ob Beschwerden zielführend sind, auch wenn sie sich auf tatsächliche und womöglich unhaltbare Zustände beziehen. Wenn nicht riskieren viele um Ihrer Angehörigen Willen keine Konflikte, schließlich will man die Situation der Angehörigen nicht noch weiter verschlechtern.
Einige Gedanken zu Ergänzung:
Der Personalmangel an Pflegekräften in der Altenpflege ist sicherlich einer der Gründe für Versorgungsenpässe. Problematischer ist die Profitorientierung von Betreibern und die Erwartung entsprechender Renditen. Das wird besonders spürbar, wenn eine dünne Personaldecke in Krisenzeiten die Versorgung nicht mehr garantieren kann, wenn durch krankheitsbedingte Ausfälle von Pflegepersonal die anvertrauten Menschen vernachlässigt werden.
Aber ebenso problematisch ist es, dass längst nicht alle Pflegekräfte die menschlichen Qualitäten, die sozialen Qualifikationen und Kompetenzen für eine Pflege mitbringen, ohne die Pflege zur Wartung verkommt. Empathie mit alten Menschen zu empfinden, auch wenn manche fallweise launisch sind, kapriziert, ängstlich, manche wohl auch aggressiv, beleidigend et cetera ist nicht jedem und jeder gegeben.
Eine Episode: Einige Pflegerinnen versuchten täglich, immer wieder aufs Neue, meine Mutter zu ermutigen, das was irgend möglich ist, selbständig zu tun, zum Beispiel bei der Morgentoilette. Oftmals gelang es ihnen. Dann gab es eine Pflegerin, die meiner Mutter den Waschlappen in den Hand drückte und meinte, Waschen könne sie sich alleine. Aber es ging nicht. Sie wurde bedrängt und ihr wurde vorgeworfen, dass sie nur nicht wolle, denn bei anderen Pflegerinnen würde sie sehr wohl mithelfen. Auf die Entgegnung meiner Mutter, jeder Tag sei anders und manchmal ginge es eben nicht, bedrängte die Pflegerin meine Mutter weiter, bis diese in Tränen ausbrach und ankündigte, sie wolle das ihrem Sohn erzählen. Wohl um einer Beschwerde vorzubeugen, wandte sich die Pflegerin in Begleitung von zwei weiteren Pflegekräften, quasi als Zeuginnen, an die Geschäftsführung und behauptete, sie wäre beleidigt worden und meine Mutter sei Schuld an der Eskalation. Nun zeigte sich, dass beim herrschenden Pflegemangel keine drei Pflegerinnen bei der Morgentoilette einer Bewohnerin zugegen sind. Dennoch, auch wenn die Sache durchsichtig war, stand für die Geschäftsführung Aussage gegen Aussage. Meine Mutter lernte daraus, dass sie sich gegen Übergriffe nicht wirklich wehren kann (Einsicht in die real existierenden Machtverhältnisse). Im guten Einvernehmen mit der Geschäftsführung konnte geregelt werden, dass die Pflegerin meiner Mutter nicht mehr zugewiesen wurde, zumindest tagsüber nicht mehr. An ihrem Verhalten änderte sich aber nichts. Denn Klagen über sie hörte man weiterhin. Die dünne Personaldecke ließ eine Abmahnung jedoch nicht zu.
Kurzum; es hilft nicht, wenn man mit Kampagnen und hohem Entgelt Menschen in die Pflege lockt, wenn sie dieser Aufgabe menschlich und charakterlich nicht gewachsen sind. Da verkommt Pflege zu getakteter Wartung, einer Wartung, die voraussetzt, dass die Bewohnerinnen sich widerspruchslos beugen, um die Prozesse reibungsfrei abwickeln zu können, auch wenn dann mal härter zugepackt wird.
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