Was mir Sorgen macht: Die Demontage des Rechtsstaats
Rechtsstaatlichkeit in Demokratien ist schon länger keine Selbstverständlichkeit mehr. Selbst innerhalb der EU sind Mitgliedsstaaten wie Polen, Ungarn aber auch Tschechien, Slowenien und andere dabei, die liberalen Demokratien in ihren Ländern zu demontieren und stattdessen autoritäre, illiberale Demokratien zu installieren. Die Treiber dieser Entwicklung, voran Victor Orban (Fides) und Jarosław Kaczyński (PiS), nennen dieses Konstrukt eines verbrämten autoritären Staats dennoch weiterhin Demokratie - wohl im Sinne von Kellyanne Conway's „Alternative Fakten”. Auch in Österreich hat unter Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die Schwächung und Desavouierung der Justiz und ihrer Organe enorm an Fahrt aufgenommen, zunächst mit einer rechtspopulistische FPÖ als Juniorpartner und dann mit den Grünen. Es ist an der Zeit, vor allem den Versuchen einer Demontage des Rechtsstaats Paroli zu bieten.
Das „Aushungern” der Justizverwaltung - Personalstellenpolitik
Es kommt gut an bei den Wähler*innen: Der Staat muss zunächst in der eigenen Verwaltung sparen, bevor durch neue Steuern Steuerzahler weiter belastet werden. Mit dieser populistischen Argumentation werden Planstellen gestrichen und frei werdende Posten nicht oder sehr verzögert nachbesetzt. Dem Argument, dass die Arbeitslast nun auf deutlich weniger Beamte und Angestellte in der Verwaltung verteilt wird, die diese kaum mehr bewältigen können und sich entsprechend Verfahren in die Länge ziehen, entgegnen die Politiker, angefangen von Kanzler Kurz, dass sich dieses Problem durch Digitalisierung entspannen werde, da es die Digitalisierung der Verwaltung erlaube es, trotz geringerer Personalstellen sogar noch effektiver und effizienter zu arbeiten.
Seit Jahrzehnten werden in der österreichischen Justiz Personalstellen eingespart. Jabloner, Justizminister der Expertenregierung unter Bundeskanzlerin Bierlein (2019–2020), spricht von einem Notstand, vom „stillen Tod der Justiz”. Kontrastiert wird diese Entwicklung durch die Personalstellenpolitik im Kabinett durch Bundeskanzler Kurz (Schwarz/Blau III, 2017-2019). Hier wurden 400 Mitarbeiter*innen beschäftigt, ungleich mehr als in vorangegangenen Kabinetten. Kanzlerin Bierlein konnte ohne Beeinträchtigung auf die Hälfte der Mitarbeiter*innen verzichten.
Zwangsläufig verzögern sich Verfahren, was wiederum Verfahrensbeteiligte beschwert, die teils lange auf Urteile und Entscheidungen warten müssen. Besonders betroffen sind große Wirtschaftsverfahren. Da sind einzelne Staatsanwälte alleine für riesige Verfahren zuständig, anders als in Deutschland, wo Teams von Staatsanwälten sowohl für eine zügigere Bearbeitung sorgen als auch eine kontinuierliche Bearbeitung bei Personalwechsel garantieren. In Österreich braucht es nur eine Versetzung eines Staatsanwalts, dessen Erkrankung oder Ruhestand, um ein Verfahren zum Erliegen zu bringen, bis sich ein anderer Staatsanwalt wieder eingearbeitet hat.
Es scheint, als zielte dieses „Aushungern der Justiz” angesichts der Verfahrensverzögerungen darauf, den zunehmenden Unmut in der Bevölkerung und unter Unternehmen zu befeuern, um Kritik gegenüber der Justiz zu legitimieren und weitergehende Umstrukturierungen zu rechtfertigen.
Wahrnehmungsbericht des Bundesministers für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz
Befund. Maßnahmen für eine moderne und qualitätsvolle Justiz von Dr. Clemens Jabloner.
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Das politische Weisungsrecht durch Justizminister*in und Oberstaatsanwälte
In Österreich gibt es ein Weisungsrecht von Justizminister*innen und Oberstaatsanwält*innen gegenüber den Staatsanwaltschaften. Das Weisungsrecht ist selbst innerhalb der EU Mitgliedsstaaten keine ausschließlich österreichische Spezialität, wie beispielsweise vor wenigen Jahren die Debatte darüber in Deutschland zeigte. Dieses Weisungsrecht ist jedoch in Österreich besonders delikat, weil es hier – als einzigem Land in der EU – noch das im Verfassungsrang stehende „Amtsgeheimnis” gibt. Wird eine Information zu einer Weisung als „geheim” eingestuft, so ist es auch für das Parlament schwierig, solche Vorgänge nachzuvollziehen. Zudem zeigte die Auseinandersetzung zwischen dem Sektionschef und Generalsekretär im Justzministerium, Christian Pilnacek, und der WKStA wie in der Praxis Weisungen informell durchgesetzt werden. Ein Sittenbild dieser Praxis zeichnet die Anzeige der WKStA gegen Pilnacek.
In Österreich hat die 2008 eingerichtete Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) seitens des Justizministeriums eine enorme Berichtspflicht aufgebürdet bekommen. Es wird vermutet und verschiedentlich sogar behauptet, dass dies Ressourcen in der WKStA binden und damit die Ermittlungstätigkeit beeinträchtigen soll.
Bundeskanzler Kurz macht Stimmung gegen die Justiz
Nicht anders als skandalös ist der auf Hören-Sagen gründende öffentlich von Bundeskanzler Kurz vorgebrachte Vorwurf des Amtsmissbrauchs durch Mitarbeiter*innen der Justiz, genauer der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA).
Geradezu obskur ist die Einladung von Sebastian Kurz an 40 „hochrangiger” Journalist*innen zu einem Hintergrundgespräch, wobei diese allerdings zur Vertraulichkeit verpflichtet wurden. Bei dieser Gelegenheit machte der Kanzler dem Vernehmen nach gegen die Justiz und vermeintliche Rote Netzwerke Stimmung. Das ist ein mehr als fragwürdiger Versuch der Instrumentalisierung der sogenannten Vierten Gewalt, oder noch deutlicher gesagt: Das ist ein Versuch, Journalist*innen zu korrumpieren.
Nachdem die Staatsanwaltschaft selbst Ermittlungen aufnahm, NEOS und FPÖ Strafanzeige wegen Amtsmissbrauchs gegen Unbekannt erstatteten, wiegelt Kurz ab. Er rechne nicht damit, dass er als Zeuge vorgeladen wäre, denn dazu sei das, was er zu sagen habe zu unspezifisch. Zudem wolle er die beiden Spitzenjournalisten nicht outen.
Wenige Monate später, der engste Vertraute von Bundeskanzler Sebastian Kurz, Finanzminister Gernot Blümel, wird als Beschuldigter geführt, spitzen sich die Attacken, teils heftig emotional geführt, gegen die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu. Es wird, medial gezielt inszeniert, von „falschen Fakten” gesprochen, von „Schlampereien” und der ÖVP Clubchef bezeichnet das Vorgehen der WKStA als „letztklassig”. Zusammengefasst: Alles deutet darauf hin, dass das Ansehen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft nachhaltig beschädigt werden soll, ihre Ermittlungen und Ermittlungsergebnisse als präsumtiv, willkürlich oder zumindest als Folge schlampiger Ermittlungen diskreditiert werden sollen, um allfälligen weiteren Entwicklungen prospektiv die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit abzusprechen. Der für seine investigative journalistische Arbeit über die Grenzen hinaus geschätzte Chefredakteur der Wochenzeitschrift Falter formulierte das so: Jetzt versucht er die Justiz mit propagandistischen Tricks zu beschädigen, weil er Unheil wittert
Zurecht werden diese öffentlich gemachten Anwürfe durch einen Bundeskanzler als Beschädigung des Ansehens der Justiz kritisiert, als weit über das Maß einer sachlich begründeten Kritik hinausgehend.
Der Bundesstaatsanwalt soll es richten
Der türkis geführten ÖVP durch Bundeskanzler Sebastian Kurz ist klar geworden, dass es den Einfluss auf die Ermittlungsbehörden in der gegenwärtigen Konstellation immer dann verliert, wenn das Justizministerium in den Händen eines Koalitionspartners ist, wie es in der gegenwärtigen Koalition mit den Grünen der Fall ist. Das dürfte der Grund für den Sinneswandel in der ÖVP sein, die seit Jahrzehnten blockierte Forderung nach einem Bundesstaatsanwalts zu überdenken und zu befürworten. Ein Bundesstaatsanwalt könnte die grüne Justizministerin an der Spitze der Weisungskette ablösen.
Allem Anschein nach geht es der ÖVP in der Diskussion um einen Bundesstaatsanwalt nicht darum, den politischen Einfluss auf die Ermittlungsbehörden zu unterbinden, sondern eher darum, sicherzustellen, dass die Spitze einer Weisungskette in der unmittelbaren Einflusssphäre der ÖVP angesiedelt sein wird. Ein für eine längere Periode berufener Bundesstaatsanwalt – diskutiert wird eine Berufung auf bis zu zwölf Jahre – würde so manche wechselnden Koalitionen überleben und selbst im Fall eines Mehrheitsverlusts zumindest mittelfristig den ÖVP Einfluss auf die Ermittlungsbehörden sichern. Es geht der ÖVP nun nicht mehr darum, einen Bundesstaatsanwalt zu verhindern, sondern sicherzustellen, dass die Modalitäten der Bestellung entsprechend gestaltet werden. Daher ist mit größter Aufmerksamkeit zu verfolgen, wer Einfluss auf die Ausgestaltung der Berufung und der Kompetenzen eines Bundesstaatsanwaltes nimmt und wie diese konkret ausgestaltet werden. Ein Bundesstaatsanwalt per se ist noch kein Fortschritt.
Vertrauensverlust
Eine unabhängige Justiz und mit ihr unabhängig und rechtskonform geführte Ermittlungen sind zentraler Bestand einer Demokratie. Die Bevölkerung vertraut darauf. Wird dieses Vertrauen beschädigt oder gar untergraben, so wird das zweifellos für eine Gesellschaft nicht folgenlos bleiben.
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