Bildungspolitik: Studienwechsel — Ein verstecktes Phänomen
Studienwechsel sind ein mittlerweile sehr häufig anzutreffendes Phänomen. Verwunderlich ist es nicht bei über 2000 Studienprogrammen verteilt auf Universitäten, Fachhochschulen, Pädagogische Hochschulen, Privatuniversitäten etc. pp. allein in Österreich. Warum also ‚versteckt’? ‚Verstecktes Phänomen’ deshalb, weil das ‚Phänomen Studienwechsel’ im bildungspolitischen Diskurs nicht wirklich thematisiert wird. Dazu fehlen nämlich die erforderlichen empirischen Daten. Nicht, dass es sie nicht gäbe … Doch dazu später …
Studienwechsel ist zur Normalität geworden
Es gibt Studierende, die nicht nur einmal ihr Studienfach gewechselt haben. Manche wechseln freiwillig, weil sich das Studienfach nicht als das erweist, das man sich erhoffte. Andere wechseln, weil sie in einem zweiten oder dritten Anlauf die Aufnahmeprüfung bspw. zum Medizin- oder Psychologiestudium „endlich” geschafft haben oder die Zulassung zu einem Fachhochschulstudium und damit das „Parken” ein Ende hat. Andere müssen wechseln, weil sie an den Prüfungen in der Studieneingangs- und Orientierungsphase, der sogenannten StEOP, gescheitert sind. StEOPhasen gibt es mittlerweile — mit ganz wenig Ausnahmen — an allen österreichischen Universitäten und sie stehen im Ruf, in nicht seltenen Fällen als Knockout zu dienen, um die Studierendenzahlen in überlaufenen Studienfächern zu begrenzen.
Daten dieser Normalität sind unzugänglich
Der Eindruck drängt sich auf, dass das Phänomen des Studienwechsels eine beachtliche Dimension erreicht hat und zur veritablen Herausforderung geworden ist — sowohl bezogen auf die Bildungskarrieren jungen Menschen als auch für das Bildungsbudget. Genaues dazu lässt sich allerdings nicht sagen, da nach einhelliger Auskunft verantwortlicher Stellen keine statistisch ausgewerteten Daten dazu vorliegen. Man höre und staune …
Sie kennen das Kuckuck (auch Guck-Guck) Spiel sicherlich. Wenn ein Kleinkind (bis etwa zwei Jahre) die Hände vor die Augen hält und das Gegenüber aus dem Blickfeld verschwindet, hört das Gegenüber für das Kind gewissermaßen auf zu existieren. Fehlende ‚Objektpermanenz’ wird dieses Phänomen seit Jean Piaget genannt.
Der Umgang mit vielen Daten, auch jenen zu den Studienwechslern, erinnert mich daran. Es gibt diese Daten, Verantwortliche wissen darum. Aber es scheint, als glaubten sie, dass die Brisanz einfach verschwindet, wenn man nur nicht hinschaut, wenn man es so genau gar nicht wissen will. „Schaun ma mal”, vielleicht sieht die Welt, wenn wir die Augen wieder aufmachen, dann schon ganz anders aus.
Eine vergebliche Odyssee auf der Suche nach Daten
Wer denkt, dass im Zeitalter der oftmals als Verwaltung 2.0 bezeichneten Bürokratie im Zeitalter der Digitalisierung die Suche nach Daten und Fakten nicht allzu problematisch sein würde, irrt. Meine Erfahrungen sind ernüchternd, nicht nur weil die Datentransparenz offenbar politisch ungewollt ist, sondern weil selbst die Administration uninformiert ist – über die gesetzlichen Vorgaben, die stattfindende Praxis und die technischen Möglichkeiten.
Zweifelsfrei existieren die Daten
Das Bundesdokumentationsgesetz von 2002 klärt in § 2 Abs 2 zunächst, welche postsekundären Bildungseinrichtungen es gibt. § 9 Abs, 2 Zif 1 regelt, welche Daten von diesen Einrichtungen zu erheben sind. Neben allgemeinen Daten wie Name, Geschlecht, Sozialversicherungsnummer etc. sind das auch das „Beginndatum der jeweiligen Ausbildung unter Angabe deren Bezeichnung und das Beendigungsdatum und die Beendigungsform der jeweiligen Ausbildung unter Angabe der Bezeichnung der beendeten Ausbildung.” Diese Daten sind zu festgesetzten Stichtagen und Berichtsterminen der Bundesanstalt „Statistik Österreich“ zu übermitteln.
Damit besteht kein Zweifel, dass in der Bundesstatistik zum Bildungswesen und Bildungsstandregister die relevante Daten zu Studienkarrieren vorliegen, damit auch zum Studienwechsel.
Schon der Hausverstand legt das nahe. So wird der Bezug der Familienbeihilfe lt. Familienlastausgleichsgesetz (FLAG) § 2 Abs. 1 lit b davon abhängig gemacht, ob die Antragsteller die Voraussetzungen erfüllen, die im § 17 Studienfördergesetz (StudFG) festgelegt wurden. Demnach haben nur jene Anspruch auf Familienbeihilfe, die ihr Studium nicht häufiger als zweimal gewechselt haben und den Wechsel jeweils spätestens vor Ende der Inskriptionsfrist des dritten Semesters vorgenommen haben. Zudem müssen die Studienfortschritte entsprechend gegeben sein. § 16 StudFG formuliert das so: „Ein günstiger Studienerfolg als Voraussetzung für den Anspruch auf Studienbeihilfe liegt vor, wenn der Studierende sein Studium zielstrebig betreibt.” Damit die Erfüllung dieser gesetzlichen Voraussetzungen geprüft werden kann, müssen zum einen die entsprechende Daten vorliegen und zum anderen braucht es im Rahmen einer effizienten Verwaltung einfache Auswertungsmöglichkeiten.
Nicht nur bei der Abwicklung der Familienbeihilfe wird auf diese Daten zurückgegriffen. Die weiteren Recherchen zeigten, dass sowohl das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (bmwfw) und auch die Sozialbeihilfebehörde auf den Datenbestand beim BRZ zugreifen. Beim bmwfw werden jedoch nur Daten zu Universitäten und Pädagogischen Hochschulen abgefragt. Für Fachhochschulen, Privatuniversitäten etc. ist das Wissenschaftsministerium nicht zuständig. Die Sozialbeihilfebehörde wiederum ruft nur die Daten zu jenen Studierenden ab, die aufgrund der Einkommenssituation die Beihilfevoraussetzungen erfüllen. Das sind dem Vernehmen nach ca 12 Prozent der Studierenden an den Universitäten und ca. 20 Prozent an den Fachhochschulen. Auf den gesamten Datenbestand hat diese Behörde ebenfalls keinen Zugriff.
Es gibt daher keinen Zweifel, dass die Daten zum Studienwechsel in strukturierter Form vorliegen.
Zweifellos wird der Zugang zu den Daten erschwert
Das bezieht sich nicht nur auf die strukturierten Rohdaten. Es gilt auch für die aggregierten Daten. So bestreiten das Ministerium für Finanzen (bmf) ebenso wie das Ministerium für Familie und Jugend (bmfj) über entsprechende Daten zu Verfügung. Das ergaben offizielle schriftliche Anfragen, wie auch verschiedentliche telefonische Nachfragen.
Naheliegend war die Annahme, dass die Daten physisch im Bundesrechnungszentrum (BRZ) gespeichert sind. Das BRZ ist ein Dienstleister, der jedoch auf Nachfrage noch nicht einmal mit Sicherheit sagen konnte, bzw. es nicht sagen wollte, wer Eigentümer (Owner) der Daten ist. Nur so viel war zu erfahren, dass das BRZ selbst keinen Zugang zu den Daten hat, bzw. nur sehr eingeschränkten Zugang, weil diese verschlüsselt seien. Mittlerweile konnte geklärt werden, dass das Bundesminsterium für Finanzen (bmf) Owner dieser Datenbestände ist.
Dieser Befund mutet seltsam an: Im bmf weiß man offenbar nicht, dass man diese Datenbestände verwaltet, dafür auch bezahlt und dass diese Daten durch die jeweiligen Finanzämter, wie auch durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (bmwfw), wie auch durch die Sozialhilfebehörde genutzt werden.
Immerhin zeigen diese Rechercheergebnisse, dass strukturierte Daten in ausreichender Qualität zum Wechselverhalten von Studierenden vorliegen. Dies hatten das Bundesministerium für Finanzen (bmf) als auch das Ministerium für Familie und Jugend (bmfj) auf Anfragen wiederholt in Abrede gestellt.
Hat die Regierung Angst vor den Ergebnissen einer Auswertung?
Fast möchte man das glauben. Wie sonst wäre die Auskunftspolitik von bmf und bmfj zu interpretieren? Der Hinweis auf eine unlängst veröffentlichte Studie zu Studienabbrechern hat dem Vernehmen nach zu sehr viel Unmut in den Ministerien geführt.
Im vergangenen November kam eine von Friedrich Schneider (JKU) durchgeführte Studie zu Studienabbrechern zu einem erstaunlichen Ergebnis: „Von den insgesamt 766.362 Studierenden an 21 Hochschulen schlossen in den vergangenen 13 Jahren fast 400.000 das Studium nicht ab – beinahe jeder Zweite endete also als Studienabbrecher.” Schneider ermittelte einen volkswirtschaftlichen Schaden in den 13 Jahren seit 2002 von 2,6 Milliarden Euro. ↑
Die volkswirtschaftlichen Kosten einer hohen Zahl an Studienwechslern dürfte nicht weniger unerfreulich sein. Aber nach dem Motto: Was nicht sein darf, kann nicht sein, schweigen die Ministerien lieber dazu. Sie spielen das Kuckuck Spiel.
Nachtrag:
Wenn selbst ein Volkswirt mit großer wissenschaftlicher Reputation, der Linzer Johann Kepler Universität im Rücken und mit einem gewissen Naheverhältnis zur ÖVP es nicht schafft, Zugang zu Daten für seine Forschung von Ministerien eingeräumt zu bekommen, dann bleibt mir nur zur Kenntnis zu nehmen, dass es mit den Bekenntnissen von Transparenz in Österreich ebenso wenig weit her ist, wie bei den medienwirksamen öffentlichen Überlegungen zu Open Access.
Lesenswerte Beiträge zum Thema /Weblinks
Weber, Stefan (2019): „Das Problem ist nicht, dass sie das Falsche studieren, sondern dass sie studieren.“ In: Addendum vom 7.3.2019
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