Familienbeihilfe und Studium – ein österreichisches Provisorium
Bei über 2000 unterschiedlichen Studienprogrammen in Österreich und einem zunehmend unübersichtlicher und enger werdenden Arbeitsmarkt wundert die Überforderung von Maturanten und Studienanfängern nicht. Immer mehr Pflichtschüler entscheiden sich für eine Mittelschule. Von dort werden Sie an die Hochschulen weitergereicht. Es mehren sich Stimmen, dass bei aller sozialpolitisch nachvollziehbaren Bildungspolitik Schüler ohne zureichende Qualifikation an die Mittelschulen kommen und zunehmend Maturanten ohne Hochschulqualifikation aber mit Matura-Zeugnis studieren. Sie alle haben unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe bis zum 24. Lebensjahr.
Familienförderung, Studienbeihilfe und Studienrealität
Annähernd jeder dritte Studienanfänger bricht sein Studium vorzeitig ab. Es lässt sich nicht genau sagen, wie viele dann ein anderes Studium wieder aufgreifen, da in Österreich entsprechende Zahlen nicht aggregiert und ausgewertet werden (Bildungspolitik: Studienwechsel — Ein verstecktes Phänomen). Wenn man die jüngste Studie des Linzer Volkswirts Friedrich Schneider heranzieht, so brechen an österreichischen Universitäten 50 Prozent der Studierenden ein Studium ab, wodurch seit 2002 ein volkswirtschaftlicher Schaden in Höhe von 2,6 Milliarden Euro aufgelaufen sein dürfte ↑.
Es ist daher als übliche Praxis zu betrachten, dass Studierende ihr Studium abbrechen oder wechseln. Die Bildungspolitik trägt diesem Phänomen allerdings kaum Rechnung. Betroffen sind Studierende und deren Familien angesichts der Konsequenzen für Familienbeihilfe und Studienbeihilfe (s. Studium und Familienbeihilfe – ein österreichisches Konstrukt).
Wer an den Studienanforderungen scheitert wird vom Staat bestraft
Studienabbruch und Studienwechsel sind häufig nicht Folge einer Neu- und Umorientierung, sondern gezwungener Maßen Ergebnis nicht bestandener Prüfungen, schlicht des Scheiterns an den Anforderungen.
Verwunderlich ist, dass die Gewährung von Familienbeihilfe u.a. lt. § 16 StudFG vom „günstigen Studienerfolg” abhängig ist. Auch ein Anspruch auf Studienbeihilfe liegt erst dann vor„wenn der Studierende sein Studium zielstrebig betreibt.” Es kann aber sein, dass ein Studierender fleißig studiert und dennoch scheitert. Er betreibt sein Studium durchaus zielstrebig, aber eben mit keinem, bzw. nicht ausreichendem Erfolg.
Der „günstige Studienerfolg” wird allerdings durch Nachweis von Semesterwochenstunden, bzw. ECTS Punkten gemessen. Somit handelt es sich eigentlich weniger um eine Studienförderung als vielmehr um eine Erfolgsprämie. Wer die Nachweise wegen Scheiterns nicht erbringen kann, wird damit bestraft, selbst wenn durch Nachprüfungen im Folgesemester die erforderlichen ECTS erbracht und nachgereicht werden können. Familienbeihilfe und Studienbeihilfe bleiben bis dahin ausgesetzt.
Ein Beispiel:
Ein Studierender hat bis zum Ende des Studienjahres im Sommer die erforderliche Anzahl von ECTS nicht erbracht, weil er in zwei Lehrveranstaltungen die Klausuren nicht erfolgreich bestand. Wiederholungstermine sind erst für Herbst, also im folgenden Wintersemester vorgesehen. Ungeachtet dessen wird mit Ende des Sommersemesters die Familienbeihilfe nicht weiter ausbezahlt, obwohl das Studium fortgesetzt wird und der vom Studierenden nicht beeinflussbare Nachprüfungstermin erst für November angesetzt wurde. D.h. zwei Monate Verlust der Familienbeihilfe und Studienbeihilfe.
Eine Reform der Studienförderung ist dringend erforderlich
Als ein österreichisches Provisorium muss die Studienförderung über das umwegige Konstrukt Familienbeihilfe betrachtet werden. Es bleibt zu hoffen, dass im Zuge einer längst überfälligen Verwaltungsreform auch dieses bürokratische und nicht angemessene Verfahren abgeschafft und stattdessen eine funktionierende, treffsichere und gerechte Studienförderung eingerichtet wird.
In diesem Zusammenhang muss sich die Bildungspolitik auch der Frage stellen, ob es Sinn macht, möglichst viele Österreicher_innen, auch solche, die die Eignung dafür nicht mitbringen, von der Pflichtschule bis zum Hochschulabschluss durchzuwinken (s. Myopia der österreichischen Bildungspolitik).
Lesenswerte Beiträge zum Thema /Weblinks
Weber, Stefan (2019): „Das Problem ist nicht, dass sie das Falsche studieren, sondern dass sie studieren.“ In: Addendum vom 7.3.2019