Österreich: Meinungsfreiheit und Soziale Medien
Zu Fragen der Meinungsfreiheit in Sozialen Medien hat eine Wiener Rechtsanwältin in den Salzburger Nachrichten eine wenig nachvollziehbare Position bezogen. Grund genug, darüber nachzudenken, wie es in Österreich um Meinungsfreiheit generell und in Sozialen Medien insbesondere steht.
Meinungsfreiheit ist in Österreich ein gefährdetes Gut
Österreich findet sich seit Jahren auf den Spitzenplätzen der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Verletzung des Rechtes auf freie Meinungsäußerung verurteilten Länder. Das scheint in Österreich aber kaum jemanden zu bekümmern, weder die Politik noch die Zivilgesellschaft. Seit 2009 die DIE PRESSE titelte: „Österreich verstößt am öftesten gegen Meinungsfreiheit. Kein Land in der EU wurde in den vergangenen zehn Jahren öfter vom Menschenrechts-Gerichtshof verurteilt.”↑ hat sich die Situation nicht wirklich verbessert.
Das Recht auf Meinungsfreiheit ist in Österreich in Artikel 13 des aus dem Jahr 1867 stammenden Staatsgrundgesetzes formuliert:
„Jedermann hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder durch bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern.”
Dabei handelt es sich um eine typisch österreichische Formulierung, die das Gut der Meinungsfreiheit zwar im Verfassungsrang verankert, aber so, dass es durch allgemeine Gesetze letztlich eingeschränkt werden kann. Wer in Österreich Meinungsfreiheit einschränken will braucht also keine Zweidrittelmehrheit, um die Verfassung zu ändern, es reichen 61 anwesende Parlamentarier und davon 31 Befürworter im Zuge des allgemeinen Gesetzgebungsverfahrens.
Die erste massive Einschränkung erfuhr das Verfassungsrecht auf freie Meinungsäußerung bereits 1917 im §1330 ABGB. Hier wird der rechtliche Anspruch auf Schadenersatz und Genugtuung bei Ehrenbeleidigungen geregelt.
(1) Wenn jemandem durch Ehrenbeleidigung ein wirklicher Schaden oder Entgang des Gewinnes verursacht worden ist, so ist er berechtigt, den Ersatz zu fordern.
(2) Dies gilt auch, wenn jemand Tatsachen verbreitet, die den Kredit, den Erwerb oder das Fortkommen eines anderen gefährden und deren Unwahrheit er kannte oder kennen musste. In diesem Falle kann auch der Widerruf und die Veröffentlichung desselben verlangt werden. Für eine nicht öffentlich vorgebrachte Mitteilung, deren Unwahrheit der Mitteilende nicht kennt, haftet er nicht, wenn er oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hatte.
Was genau unter „Ehrenbeleidigung” zu verstehen ist, bleibt nebulös, nicht jedoch die rechtlichen Sanktionen dafür: Wer eine andere Person öffentlich oder vor mehreren Leuten (mindestens drei anderen) beschimpft, verspottet, körperlich misshandelt oder mit körperlichen Misshandlungen droht, kann mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten bestraft werden, oder mit einer Geldstrafe bis zu 180 Tagsätzen. (§115 StGB)
Bei „übler Nachrede” schaut es noch etwas betrüblicher aus, obwohl auch hier nicht klar ist, was genau unter „übler Nachrede” zu verstehen ist: „Wer einen anderen in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise einer verächtlichen Eigenschaft oder Gesinnung zeiht oder eines unehrenhaften Verhaltens oder eines gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigt, das geeignet ist, ihn in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.” (§111 StGB)
Soweit ich das verstehe, obliegt die Feststellung, was eine „Ehrenbeleidigung” sei und was den Tatbestand einer „üblen Nachrede” erfülle den Gerichten. Ähnliches trifft m.M.n. auch auf die Begrifflichkeit der „Tatsache” zu. Was ist eine Tatsachenbehauptung und lässt sich eine Meinung grundsätzlich klar von einer Tatsachenbehauptung unterscheiden?
Ein heikles Gerichtsverfahren
Ein Oberösterreicher teilte via Google+ folgenden Eintrag: „Bank vs. Endkunde: 150.000 Euro Schaden bei einem kleinen Bürger - und die Bank kommt damit durch?“ und verlinkte auf eine Seite mit – wie ein Gericht feststellte – kreditschädigenden Inhalten.
Laut der Klageschrift soll sich der Oberösterreicher den Inhalt der Website zu Eigen gemacht haben, weil er zu seiner Frage den Link angehängt hat und Google + dazu wie üblich ein Bild mit der Überschrift der verlinkten Seite anhängte: „Wie die ▇▇▇▇▇ den kleinen Bürger nachhaltig schädigt.” So sei der gesamte Inhalt der Homepage „mit allen kreditschädigenden Äußerungen dem Beklagten zuordenbar“, so futurezone in der Berichterstattung vom 30.6.2015. Der Oberösterreicher wird auf Unterlassung und Widerruf geklagt. Das Begehren war mit 18.900 Euro bewertet. Im Prozess im Herbst 2014 wurde der Oberösterreicher schuldig gesprochen.
Zum Thema Meinungsfreiheit und Tatsachenbehauptung meint das Gericht in der Urteilsbegründung: „Unter ‚Tatsachen’ sind Umstände, Ereignisse oder Eigenschaften mit einem greifbaren, für das Publikum erkennbaren und von ihm anhand bestimmter oder doch ermittelnder Umstände auf seine Richtigkeit überprüfbaren Inhalt zu verstehen.” Dabei bezog sich das Gericht auf RIS-Justiz RS0032212. Weiters sieht das Gericht den Unterschied zu „Werturteilen”, also Meinungsäußerungen, darin, dass diese erst "aufgrund einer Denktätigkeit gewonnen werden können und die eine rein subjektive Meinung des Erklärenden wiedergeben." Für die Tatsachenbehauptung sei wesentlich, „dass sich ihr Bedeutungsinhalt auf einen Tatsachenkern zurückführen lässt, der einem Beweis zugänglich ist, sodass sie nicht nur subjektiv angenommen oder abgelehnt, sondern als richtig oder falsch beurteilt werden kann.” Das Gericht folgert: „Bei unwahren Tatsachenbehauptungen oder bei Werturteilen, die auf einer unwahren Tatsachenbehauptung basieren, gibt es kein Recht auf freie Meinungsäußerung.” (RIS-Justiz RS0107915)
Eine Urteilsbegründung mit gravierenden Folgen
Wirklich brisant ist die Urteilsbegründung in diesem Punkt: „Eine intellektuelle Beziehung des Verbreiters zu den weitergegebenen Gedankeninhalten ist nicht erforderlich. Es genügt bereits das ‚technische Verbreiten’, beispielsweise durch Zeitung, Rundfunk, Internet oder Fernsehen. Die Aufnahme von Tatsachen in eine ‚Homepage’ bzw. in deren Unterverzeichnisse, die von dieser aus abgefragt werden können, erfüllt ebenfalls den Tatbestand der Verbreitung im Sinn des § 1330 Abs 2 ABGB […] Insbesondere ist unter ‚Verbreiten’ sowohl das Mitteilen der eigenen Überzeugung als auch das Weitergeben der Behauptung eines Dritten, auch wenn man sich mit dessen Äußerung nicht identifiziert, zu verstehen.” Und dabei reiche es, wenn die „Tatsache an bloß eine [sic!] vom Verletzten verschiedene Person mitgeteilt wird.”
Mit dieser Urteilsbegründung hätte sich das gesamte Hyperlink basierende Internet erledigt, gar nicht zu sprechen von der Sharing Kultur oder Sozialen Netzwerken.
Das Urteil (28 Cg 9/14h-15) wurde nicht veröffentlicht. In der Berufungsinstanz des OLG Linz (6 R 194/14p) von Anfang 2015 wurden die hier dargestellten Inhalte des LG Urteils bestätigt. Allein im Punkt Widerrufserklärung entsprach das OLG der Berufung. Auch das Urteil des OLG ist nMdA nicht veröffentlicht.
Lesen Sie dazu auch meinen Beitrag: Meinungsfreiheit — Das kann ins Auge gehen