Kundenservice — ‚Digitaler Lifestyle’ fordert Tribut
In den letzten Jahren bemerkte ich eine Auffälligkeit in der Qualität des Kundenservice, insbesondere beim telefonischen Kontakt. Abgesehen davon, dass es immer noch zahlreiche Unternehmen gibt, die Kundenanfragen als Störung erleben und nicht als Chance begreifen können, fällt eines auf: bei jungen Mitarbeiter_innen zeigt sich zunehmend Ungeduld und mangelnde Fähigkeit genau zuzuhören.
Vor etwa drei Jahren begann ich, meine Kundenanfragen an Unternehmen und Bürgeranfragen an die Verwaltung im öffentlichen Dienst zu protokollieren und auszuwerten. In meinem sozialen Umfeld, insbesondere bei Kolleg_innen erfragte ich deren Erfahrungen. Daraus lassen sich keine allgemein gültigen Schlüsse ableiten, aber doch Beschreibungen eines Phänomens gewinnen und verdichten, wie sie nicht zuletzt auch durch Forschungsergebnisse gestützt werden .
Aufmerksamkeitsdefizite und Konzentrationsmangel
Was mich interessiert ist die Frage, ob und wie sich die intensive Nutzung von digitalen mobilen Diensten, vor allem von Messengern und Chat-Programmen auf das Kommunikationsverhalten der Nutzer auswirkt und wie weit sich dies in der Kundenkommunikation niederschlägt.
Dass die intensive Nutzung des Internets vor allem, wenn sie schon sehr früh beginnt, neurologisch feststellbare Veränderungen im Gehirn verursacht, konnten gehirnphysiolgosche Forschungen hinreichend bestätigen. Der Neurowissenschaftler Manfred Spitzer, Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm, hat in seinen Büchern versucht, diese Zusammenhänge in den letzten Jahren allgemein verständlich darzustellen. Der 2012 erschienene Titel „Digitale Demenz” führte zu regen Diskussionen.
Nicht nur Neurowissenschaftler und Neuropsychologen beschäftigten sich mit diesem Phänomen. Auch Microsoft hat sich in einer 2015 veröffentlichten Studie damit auseinandergesetzt: „Attention Spans. Consumer Insights”. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass der ‚Digitale Lifestyle’ nachweisbar die Fähigkeit beeinträchtigt, sich über einen längeren Zeitraum auf etwas zu konzentrieren und Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten.
Die Microsoft-Studie geht begründet davon aus, dass es unterschiedliche Aufmerksamkeitsstile gibt. Florian Rötzer fasst die drei von Microsoft herausgestellten Aufmerksamkeitsstile so zusammen: „Meist wird Aufmerksamkeit als Konzentration verstanden, also Fähigkeit, an einer Sache zu bleiben und sich nicht ablenken zu lassen. Die längere Fokussierung ist aber tatsächlich nur ein Modus. Eine andere Variante ist, trotz ablenkender Reize die Aufmerksamkeit nicht abschweifen zu lassen, was als selektive Aufmerksamkeit bezeichnet wird. Und eine dritte Form der Aufmerksamkeit ist das Multitasking, also schnell und höchst konzentriert zwischen verschiedenen Aufgaben hin- und herschalten zu können. In der Studie wird dies ‚alternierende Aufmerksamkeit’ genannt.” ↑
Fazit der Studie: Die Teilnehmer_innen, „die einen digitalen Lebensstil pflegen, [sind] zunehmend unfähig, sich vor allem in nichtdigitalen bzw. nicht-interaktiven ‚Umgebungen’ aufzuhalten, in denen eine längere fokussierte Aufmerksamkeit erforderlich ist.” ↑
Digitaler Lifestyle und Ungeduld in analogen Umgebungen
Das Fazit der Microsoft Studie legt die Vermutung nahe, dass Menschen mit einem ‚digitalen Lifestyle’ auf Aufgaben aus nichtdigitalen bzw. nicht-interaktiven Kontexten entsprechend mit Ungeduld reagieren, sobald die ohnehin geringere Aufmerksamkeitsspannung nachlässt. Sichtbar wird dies z.B. wenn nervös und in kurzen Abständen auf das Mobiltelefon geblickt wird, um zu überprüfen, ob nicht Messages, E-Mail, Kommentare etc. eingegangen sind. Wird diesen, zumeist jungen Menschen diese Möglichkeit eingeschränkt, dann führt das zu unruhigem bis aggressivem Verhalten, das umso ausgeprägter wird, je länger diese von ihren digitalen Gewohnheiten abgehalten werden.
Analoge Kundenkommunikation wird zunehmend zur Herausforderung
‚Digitaler Lifestyle’ ist weit verbreitet und insbesondere bei Jüngeren der dominierende Lifestyle. Das führt mich nun zu folgender Annahmen:
Mitarbeiter_innen im Kundenservice zeigen Folgen des ‚Digitalen Lifestyle’
Beim Kundenservice mache ich zunehmend die Beobachtung, dass Kundenbetreuer_innen bzw. Mitarbeiter_innen in den Call-Centern ungeduldig werden, wenn es etwas Zeit und Aufmerksamkeit braucht, um ein Kundenanliegen zu verstehen. Ähnlich einer automatisierten Vorschlagsliste, wie das von Suchmaschinen bekannt ist, versuchen manche Kundenbetreuer_innen Schilderungen zu unterbrechen und damit abzukürzen. Meist reichen wenige Wörter aus, um Antworten auf nicht gestellte Fragen zu provozieren, noch bevor der Kunde dazu gekommen ist, sein Anliegen zu formulieren. Die Fähigkeit aufmerksam zuzuhören und konzentriert ein Anliegen wahrzunehmen verliert sich zusehends. Dieses Phänomen kann als Folge des ‚Digital Lifestyle’ gewertet werden.
Auch Kunden sind vom Aufmerksamkeitsdefizit betroffen
Vergleichbare Herausforderungen stellen sich im Kontakt mit Kunden, die ebenfalls unter Aufmerksamkeitsdefiziten leiden. Das fängt damit an, dass diese sich i.d.R. nicht präzise ausdrücken, immer weniger beschreiben können und wollen, wie, wann und unter welchen Umständen bspw. eine Fehlfunktion auftritt. In vielen Fällen dürfte das wohl dem Umstand geschuldet sein, dass sie sich nicht die Zeit genommen haben, die Anfrage vor dem Telefonat zu überlegen. Weiters berichten Mitarbeiter_innen im Kundenservice, dass Kunden schnell ungeduldig werden und sich wenig bereit zeigten, länger aufmerksam zuzuhören. Viel schneller als früher werden Kunden unfreundlich und aggressiv, zeigten sie überfordert.
Es besteht Handlungsbedarf
Es gibt zweifelsohne einen zunehmenden Schulungsbedarf bei Mitarbeiter_innen im Kundenservice, zum einen bezogen auf den eigenen Bedarf und zum anderen in Bezug auf Umgang mit Kunden, die sich im analogen Umfeld immer schwerer tun, die für die Kommunikation erforderliche Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten. Sofern Unternehmen auf persönliche Kundebetreuung wert legen und dies als Servicequalität Kunden anbieten besteht Handlungsbedarf.
Behalten Sie folgendes Studienergebnis von Microsoft in Erinnerung: Mittlerweile liegt die Aufmerksamkeitsspanne beim Menschen durchschnittlich bei 8 Sekunden, hinter der des Goldfisches mit immerhin 9 Sekunden.