Meinungsfreiheit — Das kann ins Auge gehen
Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht
Artikel 19 der Menschenrechtscharta formuliert unmissverständlich:
„Jedermann hat das Recht auf unbehinderte Meinungsfreiheit. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.”
… aber
Es gibt wohl kaum Rechte, die, da sie die Interessen anderer berühren können, nicht mehr oder weniger Einschränkungen unterworfen werden. Und ganz offenbar ist das auch bei Menschenrechten so. Es sind in der Pragmatik also eher bedingte Menschenrechte. Je nachdem, wessen Interessen durch die Ausübung eines Menschenrechts berührt werden, können Reaktionen ausbleiben oder teilweise sehr heftig ausfallen.
… entsprechend
Im Absatz 3 findet sich daher die Einschränkung: „ Die Ausübung der […] Rechte ist mit besonderen Pflichten und einer besonderen Verantwortung verbunden. Sie kann daher bestimmten, gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die erforderlich sind für die Achtung der Rechte oder des Rufs anderer; für den Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit oder der öffentlichen Sittlichkeit.”
„Öffentliche Sittlichkeit” — So können in manchen Ländern Schwulen- und Lesbenparaden als freie Meinungsäußerung verboten werden, wenn die herrschende Schicht zur Auffassung gekommen ist, dass dies nicht ihrem Goût entspricht.
Entsprechend kann es aber auch sein, dass der Generalbundesanwalt in Deutschland der Auffassung ist, dass freie Meinung und Informationsäußerung wie am Beispiel Netzpolitik unter dem Gesichtspunkt „nationale Sicherheit” einen Landesverrat darstelle.
Und genauso gut kann es sein, dass Sie wegen eines Tweets oder Posts in Sozialen Netzwerken oder Kommentaren zu Blogs wegen Geschäftsschädigung, Ehrenbeleidigung oder übler Nachrede verklagt und verurteilt werden, obwohl sie davon überzeugt waren, „nur” ihre Meinung geäußert zu haben.
Wer seine Meinung frei äußert steht mit einem Bein im Kriminal
Zumindest in Österreich scheint das so zu sein, wenn man die Urteile des Landesgerichts Linz (28 Cg 9/14h-15) und die Bestätigung dieses Urteils durch das Oberlandesgericht Linz (6 R 194/14p) heranzieht. Auf die näheren Umstände, die zum Urteil geführt haben, bin ich in Beitrag „Österreich: Meinungsfreiheit und Soziale Medien” bereits eingegangen.
Obwohl dieses Urteil weitreichende Folgen hat, wurde es - soweit mein Kenntnisstand - bis heute nicht veröffentlicht. Die beklagte Partei hatte mir beide Urteile auf meine Anfrage hin zur Verfügung gestellt. Es ist zu erwarten, dass sich, sobald nächstens wieder gewichtige Interessen gestört werden, ganz normale Leute, die davon überzeugt sind, nur ihre Meinung zu äußern, vor Gericht wiederfinden.
Meinung vs Tatsache
Das Gericht urteilte, dass der Beklagte im oben erwähnten Verfahren, keine „Meinung” geäußert habe, sondern eine „falsche Tatsachenbehauptung”, die wiederum die Geschäftsinteressen der klagenden Partei verletzt habe, also eine „kreditschädigende Äußerung“ darstelle.
Bei der Feststellung, was eine Tatsache sei, hat sich das Gericht an früheren gerichtlichen Erkenntnissen orientiert. „Unter ‚Tatsachen’ sind Umstände, Ereignisse oder Eigenschaften mit einem greifbaren, für das Publikum erkennbaren und von ihm anhand bestimmter oder doch ermittelnder Umstände auf seine Richtigkeit überprüfbaren Inhalt zu verstehen.” Eine Zusammenstellung entsprechender Rechtssätze findet sich in RIS-Justiz RS0032212, worauf ausdrücklich Bezug genommen wurde.
Nun kann man ja nicht über alle Tatsachen im Bilde sein, wenn man seine Meinung äußert. Wenn ich meinte, der u.s.amerikanische Präsidentschaftskandidat Trump sei ein Psychopath, so nutze ich selbstverständlich das Wort Psychopath in einer umgangssprachlichen Weise, zumal ich ja keine Ausbildung als Psychiater habe und entsprechend nicht in der Lage bin, das fachlich zu diagnostizieren. Es könnte also sein, dass Psychiater feststellen, Trump sein kein Psychopath im Sinne der Psychiatrie. Entsprechend hätte ich eine falsche Tatsachenbehauptung aufgestellt und keine Meinung geäußert. Da könnten Richter urteilen, wenn ich nicht ausgebildet sei, dürfte ich entsprechende Fachbegriffe eben nicht verwenden, oder eben nur dann, wenn ich damit eine Tatsache entsprechend richtig wiedergebe, also mich z.B. auf ein Fachgutachten beziehe.
Wenn jemand einen Politiker als Menschenverächter bezeichnete. Ist das nun Meinungsäußerung oder schon falsche Tatsachenbehauptung und Beleidigung. Wenn jemand meint, der oder jener Politiker sei nicht gerade intelligent und zeige sich überfordert, ist er dann im rechtlichen Sinne schon zu weit gegangen? Immerhin könnte ein Intelligenztest möglicherweise belegen, dass der Politiker so intelligent ist, wie der überwiegende Teil der Politiker der Fraktion und es nicht den Tatsachen entspräche, er sei weniger intelligent. Vielleicht gab es diesen Intelligenztest schon und dieser hätte bei ausdauerndem Googeln auch gefunden werden können. Was dann.
Die Meinung, die FPÖ sei eine rechtspopulistische, ja rechtsextreme Partei wurde anfangs ebenfalls als falsche Tatsachenbehauptung bekämpft. Wer damals die Meinung äußerte, sah sich vor Gericht gestellt. Verfahren haben jedoch festgestellt, dass es keine falsche, sondern eine zutreffende Tatsachenbehauptung sei. Wer also sagt, die FPÖ sei rechtspopulistisch, äußerst genau genommen keine Meinung, sondern eine erlaubte, da offenbar zutreffende Tatsachenbehauptung.
Heißt das nun, dass jede geäußerte Meinung das Risiko birgt, als üble Nachrede, Ehrenbeleidigung, kreditschädigende falsche Tatsachenbehauptung beklagt zu werden, bis ein Gericht nach entsprechender Prüfung ein Urteil fällt und eine Meinung als Meinung feststellt?
Wo kein Kläger da kein Richter
Es wird wohl, wie üblich, darauf ankommen, ob es da einen Kläger gibt und wie differenziert ein Gericht im jeweiligen Verfahren in der Lage ist, die Angelegenheit zu beurteilen. Immerhin ist die Frage, was eine Meinung sei und was eine Tatsache, doch auch eine Frage, der sich Philosophie, Soziologie und andere Wissenschaften stellen mit durchaus nicht deckungsgleichen Feststellungen.
Es bedeutet auch, dass man nicht wirklich weiß, ob man mit seinen Meinungsäußerungen noch auf der sicheren Seite ist. Wessen Kriegskasse groß genug ist und wer einen guten Rechtsschutz besitzt braucht sich wohl weniger Sorgen machen, als bspw. junge Menschen mit wenig Geld, keinem Rechtsschutz und ohne Lobby.
Es bedeutet darüber hinaus, dass Menschen mit höherer Sprachbeherrschung, genauerer Kenntnis von Grammatik und Rhetorik weniger gefährdet sind, als solche, die nur den Indikativ kennen und mit dem Unterschied von Wahrnehmung und Kommunikation subjektiver Eindrücke zu Behauptungen weniger gut umgehen können.
Beispiel: Deutsche Klimaaktivistin soll Österreich wegen Klimaprotesten verlassen
Wie der Spiegel in seiner Ausgabe vom 7.4.2025 berichtet, erteilt die österreichische Exekutive der deutschen Aktivistin Anja Windl ein Aufenthaltsverbot wegen ihrer Proteste. Argument: Sie sei eine »erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Dabei wurde gegen Sie noch nicht einmal ein Strafverfahren eingeleitet.
Das BFA wirft ihr nun vor, »schwerwiegendere Rechtsverstöße in Kauf« genommen, sowie Dritte gefährdet zu haben. Windl habe damit gedroht, die bestehenden Machtverhältnisse zu ändern durch die Störung kritischer Versorgungsinfrastruktur. Sie habe ihre politischen Ziele »auf dogmatische Weise verinnerlicht«.
Sie schmierte Kot an die Wand der ÖVP Zentrale und schrieb: „Ihr stinkt nach brauner Scheiße!” Außerdem habe sie etwa Schriftstücke österreichischer Behörden an Nutztiere verfüttert und ein Video davon veröffentlicht.
Die Entscheidung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zeige, »dass Menschen, die in Österreich ohne österreichische Staatsbürger*innenschaft demonstrieren, dem Risiko ausgesetzt sind, zum Verlassen des Landes gezwungen zu werden«.
Beispiel: „Unsichere Handy-Signatur” – ORF Bericht / Richtigstellung durch A-Trust GmbH
Die ORF Nachrichtensendung ZIB2 sendete am 30.5. einen Betrag zum Thema „Unsichere Handy-Signatur”. Dabei wurde gezeigt, wie mit gezielten Phishing Attacken der kriminelle Zugriff auf die Handy-Signatur relativ einfach bewerkstelligt und die digitale Unterschrift gefälscht werden kann. Wer den Bericht gesehen hat, wird zweifelsohne der Meinung sein, dass Handy-Signaturen unsicher sind.
Wer diesen Eindruck nun in Facebook an Freunde weitergibt, z.B. um sie zu warnen, sofern sie selbst den Beitrag im ORF nicht gesehen haben sollten, könnte ein Problem bekommen.
Die A-Trust GmbH, die für die technische Infrastruktur der Handy-Signatur verantwortlich ist, wies nämlich in einer Stellungnahme tags darauf die Vorwürfe „auf das Entschiedenste zurück”. Die Technologie sei sicher. Unsicherheit bestehe nur durch eine nicht entsprechende Handhabung seitens des Nutzers. Dieser könne, wenn er nicht aufmerksam und umsichtig handle, Opfer einer Phishing Attacke werden. Damit liege die Verantwortung bei einem Missbrauch der Handy-Signatur nicht beim Anbieter, sondern beim Nutzer.
Die Aussage, die "Handy-Signatur sei unsicher" wäre daher keine Meinung, auch keine zutreffende Tatsachenbehauptung, sondern eine falsche Tatsachenbehauptung und daher kreditschädigend.
Hingegen ist die Aussage, dass die Nutzung der Handy-Signatur unsicher sei, keine falsche Tatsachenbehauptung, da ja nachgewiesen werden konnte, wie durch eine simple Phishing Attacke die Daten gestohlen werden können. Informationen und konkrete Handlungsbeschreibungen gab es dazu schon Monate vor der Ausstrahlung der ZIB2, z.B. im Blog von Robert Penz. Er titelte seinen Beitrag: „Austrian Mobile Phone Signature is vulnerable against phishing and MitM attacks”.
Es macht also einen gewaltigen Unterschied, ob Sie davon sprechen, dass die Handy-Signatur unsicher sei, oder davon, die Nutzung der Handy-Signatur sei unsicher in Bezug auf die Gefahr von Phishing. In ersterem Fall könnte Sie das vor Gericht bringen, im zweiten Fall wohl eher nicht.
Beispiel: POST AG droht Wissenschafterin mit Klage auf Unterlassung wegen Kritik
Wie eine der in Österreich führenden Tageszeitung Der Standard in seiner Online Ausgabe berichtet, wurde Sarah Spiekermann, Professorin an der Wirtschaftsuniversität Wien, wo sie dem Institut für Wirtschaftsinformatik und Gesellschaft vorsteht, von der POST AG wegen ihrer öffentlichen Kritik zur Datensammelpraxis der POST AG mit einer Klage bedroht.
Die Wissenschafterin hatte in einem Interview im Ö1 Morgenjournal des ORF die POST AG kritisiert, dass es sich bei der Datensammelpraxis ‚um eine unrechtmäßige Beobachtung im Geheimen’ gehandelt habe.
ebd.(2)
Unzweifelhaft feststeht, und das ist eine Tatsachenbehauptung, dass die Datenschutzbehörde Verfahren gegen die POST AG eingeleitet hat. Zum einen wurde festgestellt, dass die POST AG ohne Einwillungung und Wissen Betroffener deren Parteiaffinität verarbeitet hatte und dies einen klaren Verstoß gegen das Datenschutzgesetz darstelle. Zudem stellte die Datenschutzbehörde fest. dass die Datenschutz-Folgenabschätzung für diese Datenverarbeitung und der Eintrag in das interne Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten mangelhaft sind. Es wurde angeordnet, die Datenschutz-Folgenabschätzung zu wiederholen und den Eintrag richtigzustellen.
ebd. Weiters wurde ein zweites Prüfverfahren gegen die POST AG eingeleitet: „Der Grund des Prüfverfahrens ist genau die Art der Zusammenarbeit mit der Twyn Group GmbH und die Frage der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit dieser Art von Auswertungen“.
Die POST AG verweist dem Vernehmen nach darauf, dass sie die rechtswidrig verarbeiteten Daten der Parteizugehörigkeit gelöscht hätte. Daher wäre die Tatsachenbehauptung, dass es sich bei der Datensammelpraxis ‚um eine unrechtmäßige Beobachtung im Geheimen’ gehandelt habe,
aaO.(2) falsch und dies würde daher ehrenbeleidigend und kreditschädigend sein.
Problematisch scheint mir auch, dass die POST AG die inkriminierten Daten gelöscht hat, bevor noch alle anhängigen Verfahren und mögliche Beschwerden nach Artikel 15 DSGVO, erledigt sind.
Die Medienberichterstattung verweist nachvollziehbar darauf, dass das durchaus als Einschüchterungsversuch gewertet werden kann, um jemanden daran zu hindern, seine Meinung frei zu äußern. Es ist sehr bedauerlich, dass Frau Spiekermann die Unterlassenserklärung unterschrieben hat. Es wäre wichtig gewesen, den Versuch der POST AG, Kritik mundtot zu machen, vor Gericht verhandelt zu sehen.
Hinweis:
Die Inhalte unserer Internetseiten werden mit größter Sorgfalt recherchiert. Dennoch kann der Anbieter keine Haftung für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität der bereit gestellten Informationen übernehmen. Auf dieser Website werden allgemeine Informationen angeboten die keine Rechtsberatung darstellen und auch keine ersetzen können. Wir übernehmen keine Haftung für unmittelbare oder mittelbare Schäden, gleich aus welchem Rechtsgrund, die im Zuge der Nutzung dieser Website entstehen könnten. Zur Lösung von konkreten Rechtsfällen konsultieren Sie bitte unbedingt einen Rechtsanwalt.
Editorischer Hinweis:
Eingetragen von Dr. Conrad Lienhardt am 12.08.2016 – Last touched: 7.04.2025 – Contents updated: 7.04.20252 Kommentare
Kommentar von: Gisela Baumüller

Kommentar von: Rainer Zilske

Das ist ja die Masche: Einschüchterung durch im Raum stehende Klagsdrohungen. Die gelernte Österreicherin reagiert darauf mit: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold - vorauseilende Selbstzensur.
Entpuppt sich eine Meinung als falsche Tatsachenbehauptung, bedeutet das in Deutschland, dass er auch für die Verbreitung durch Dritte haftet. Ein Retweet auf Twitter genügt da schon. Und es stellt sich die Frage, wie erfolgreich und teuer es werden kann, wenn die Verbreitung durch Dritte genauso unterbunden werden muss, wie die auf der eigenen Webseite.
https://www.ipjaeschke.de/rechtsanwalt-giessen/markenschutz-markenrecht-nachrichten/213-wer-falsche-tatsachenbehauptungen-in-das-internet-einstellt-haftet-auch-dafuer-wenn-dritte-diese-ohne-sein-wissen-weiterverbreiten-bgh-urteil-vom-28-07-2015-az-vi-zr-340-14.html