Diskretion und Verschwiegenheit - ausgediente Tugenden im Zeitalter des Sharing?
"Teile Dein Wissen" lautet ein zentraler Web2.0 Imperativ. Dieser Imperativ hat jedoch zwei Seiten.
Die eine Seite ist hinlänglich diskutiert und kommuniziert. Wenn alle Ihr Wissen austauschen, haben alle etwas davon. Im Hintergrund schwingt die Hoffnung auf Emergenz mit, darauf, dass dadurch etwas entstehen könnte, was mehr ist, als die Summe des kommunizierten Wissens.
Im Wesentlichen ist das nichts Neues. Neu ist nur, dass Wissen nicht mehr vorrangig innerhalb spezifischer Gruppen, wie z.B. einer Scientific Community, ausgetauscht werden soll, sondern am Massenmarkt der Onliner.
Dass sich das Internet als Medium dafür hervorragend eignet, braucht nicht mehr besonders erwähnt werden. Denn es wurzelt letztlich darin, dass Wissenschaftler oder auch das Militär Informationen und Wissen austauschen wollten. Bestes Beispiel ist die Entwicklung des World Wide Web. 1989 wurde es am CERN (Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire) mit dem Ziel entwickelt, ein einfaches Medium zu schaffen, um Forschungsergebnisse unter Kollegen auszutauschen. Lange davor gab es schon das ARPANET (Advanced Research Projects Agency Network) usw.
Unzweifelhaft bietet das Internet als Medium hervorragende Potenziale für diesen Austausch. Und es steht außer Frage, dass Austausch von Informationen und Wissen eine zentrale Anforderung im Wissens- und Informationszeitalter sind. Die Frage, die sich dabei stellt, ist allerdings: Austausch mit wem, bzw. zwischen wem? Und was, bzw. wieviel ist unter welchen Bedingungen mit wem auszutauschen?
Many-to-Many, also (verkürzt) alle mit allen scheint zumindest im Web2.0 als Maxime zu gelten. Entsprechend geraten in Folge auch Copyright und Datenschutz (zumindest was Wissensdatenbanken, Forschungsdatenbanken etc. anbetrifft) zunehmend ins Visier.
Ich behaupte, dass sich der Austausch von Wissen innerhalb entsprechender Gemeinschaften und zwischen einzelnen Gemeinschaften nicht ins Massengeschäft skalieren lässt, ohne dass dabei langfristig Wissen verloren geht und Information zum Rauschen verkommt. Zugegeben ein konservativer Ansatz, der deswegen aber nicht falsch sein muss.
Ich habe diesen Beitrag mit der Frage "Diskretion und Verschwiegenheit - ausgediente Tugenden im Zeitalter des Sharing" überschrieben, weil "Diskretion und Verschwiegenheit" vor dem beschriebenen Hintergrund zunehmend in Gegenüberstellung zu "Sharing" geraten und diese Gegenüberstellung zunehmend nicht nur als "sowohl als auch", sondern als ein "entweder oder" verstanden, bzw. kommuniziert wird.
Gerade Entrepreneurs glauben mittlerweile, viel von Ihrem Wissen kommunizieren zu müssen, um Kompetenz nachweisen und Reputation aufbauen zu können. Viele haben das in den vergangenen Jahren gemacht und dann festgestellt, dass andere Ihr Wissen genommen haben und damit Geschäfte machten. Nicht jeder Entwickler ist ein guter Vertriebler und umgekehrt. Wer ein hervorragender Verkäufer ist, muss nicht unbedingt ein guter Entwickler sein.
Gute Vertriebler, welchen oftmals innovative Ideen fehlen, bedienen sich nicht selten bei Entrepreneurs, die in der Umsetzung und im Vertrieb noch nicht so fix sind. Bevor diese dann am Markt wahrgenommen werden, haben sich andere schon entsprechend mit deren Wissen platziert. Dabei geht es nicht um Patent verdächtige Erfindungen. Es reicht schon, dass jemand seine Markt und Branchenkenntnis verbreitet, etwas zu redselig sein Know How liefert und im Social Netz sein Beziehungssystem zu Lieferanten und Kunden offen legt. Das ist die andere Seite der Medaille.
Ich selbst halte in einer medial so virulenten Zeit Diskretion und Verschwiegenheit für zentrale Herausforderungen und keinesfalls für überholte Tugenden. Wer etwas teilt, sollte wissen was er tut. Wissen ist gerade in Unternehmen ein zentrales immaterielles Vermögensgut, das es grundsätzlich zu schützen gilt.