High Skills, low paid - Wieviele Akademiker braucht das Land?
Wer erwartet sich nicht von einer Hochschulausbildung Aussichten auf bessere Arbeitsplätze, höheres Einkommen und vorteilhaftere Karrierechancen? Letztlich sind das die überwiegenden Gründe dafür, ein Studium zu beginnen. Natürlich verbindet sich damit auch das, was pauschal als gesellschaftlicher Aufstieg beschrieben werden kann.
Fast jeder zweite heute lebende Jugendliche wird Akademiker
Laut einer OECD Studie (Bildung auf einen Blick 2012) werden in Deutschland voraussichtlich 42 Prozent der heute jungen Erwachsenen im Laufe Ihres Lebens einen Hochschulabschluss erlangen. Unter jungen Erwachsenem im Jahr 1995 galt dies nur für 26 Prozent. Als Zielwert gilt ein OECD Durchschnitt von 62 Prozent.
Nun stellen sich folgende Fragen: Gibt es dafür überhaupt einen Bedarf? Benötigt die Wirtschaft so viele akademisch ausgebildete Mitarbeiter_innen? Ist eine akademische Ausbildung eine Bedingungen für die Möglichkeit eines Erfolgs als Selbständiger, als Entrepreneur? Ich wage das, wie eine zunehmende Zahl von Experten, zu bezweifeln.
Mit einer solchen Entwicklung verflüchtigt sich zudem die Exklusivität eines Hochschulabschlusses. In Folge verringern sich die Chancen auf Einlösung der seitens der Studierenden daran geknüpften Erwartungen.
Von "High Skills, High Paid" zu "High Skills, Low Paid"
Das Überangebot von akademisch Ausgebildeten, für die es in diversen Branchen keine ausreichend adäquaten Beschäftigungen gibt, führt in der Regel zu einer Verdrängung anderer, nicht akademisch, aber ausreichend Qualifizierter. Beispielsweise verdrängen Architekten Technischen Zeichner - und zwar für den Lohn des Technischen Zeichners.
Wenn in den Beschäftigungsstatistiken die Zahl der arbeitslosen Akademiker i.d.R. niedriger ausfällt, dann ist das teilweise diesem Verdrängungseffekt geschuldet.
Bedenkt man die lange Ausbildungszeit, so ergibt sich für das Lebensarbeitseinkommen eine negative Entwicklung. Der Technische Zeichner, der Jahre früher zu arbeiten begonnen hatte, erwirbt ein deutlich höheres Lebensarbeitseinkommen, als der Architekt, der deutlich später diese Aufgabe übernimmt. Berücksichtigt man die Kosten der Ausbildung für diese Form der Überqualifizierung, dann ist das nicht nur für die Betreffenden selbst, sondern auch für die Gesellschaft ein sehr teures Modell.
Die Bologna Reform erfüllt nicht die Erwartungen
Ein zentraler arbeitsmarktpolitischer Aspekt der Bologna Reform bestand darin, die Studiendauer zu verkürzen und Studierende früher dem Arbeitsmarkt zuzuführen. Man erwartete, dass ca. 80 Prozent nach Ihrem Bachelor Abschluss zu arbeiten beginnen und nur 20 Prozent das Studium fortsetzen würden. Das Verhältnis hat sich jedoch umgekehrt: Rund 80 Prozent der Studierenden planen nach dem Bachelor das Master-Studium anzuschließen. Brauchten Studierende vor der Bologna Reform 4 Jahre, um als Magister die Hochschulen zu verlassen, studieren heute 80 Prozent fünf Jahre und länger, um ihren Master zu machen. Entsprechend verkürzt sich die Lebensarbeitszeit.
Nida-Rümelin weist darauf hin, dass ein Leitbild für den Bologna Prozess, die Orientierung am us-amerikanischen Bildungssystem, von falschen Annahmen ausging. In den USA diente das Bachelorstudium in gewissem Maße als Verlängerung der High School, um einen adäquaten Abschluss im Vergleich zum Abitur in Deutschland, Frankreich und der Schweiz zu erhalten. Das akademische Studium begann mit dem Master-Studium.
Viele weitere Erwartungen erfüllte die Reform nicht, bzw. bleibt diese schuldig. Darauf liegt nicht der Fokus meine Beitrags.
Die Problematik einer hohen Akademikerquote
"Wenn der höchste, erreichte Bildungsabschluss bei 55% eines Jahrgangs im tertiären Sektor liegt, dann verbleiben im günstigsten Fall 30%, um den Bedarf nach nichtakademischen Fachkräften (Facharbeitern, Gesellen, Techniker und Meistern) zu decken. Es ist vollkommen illusorisch, anzunehmen, dass das in Mitteleuropa etablierte System der dualen Bildung einen solchen Schrumpfungsprozess unbeschadet übersteht ? vermutlich würde es weitgehend kollabieren." (Julia Nida-Rümelin, Birgit Schnell) Gerade dieses System war es aber, das in Europa dieses hohe Maß an Wettbewerbsfähigkeit hervorbrachte. Wir leiden bereits heute unter einem Mangel an Facharbeitern, bei düsteren Prognosen, was die künftige Entwicklung anbelangt.
Ein Blick nach Spanien zeigt ein Szenario, das es zu vermeiden gilt. Spanien hat eine sehr hohe Akademikerquote, deutlich über der Deutschlands, der Schweiz oder Österreichs. Die hohe Zahl arbeitsloser Akademiker zeigt, dass diese besonders durch die Wirtschaftskrise betroffen sind. Was das Land jedoch nötig hätte, um die Krise besser bewältigen zu können, wären bspw. mehr qualifizierte Facharbeiter.
Und beweist nicht die Wirtschaftskraft Deutschlands und Österreichs, die im OECD Durchschnitt eine geringe Akademikerquote aufweisen, dass der suggerierte Konnex von wirtschaftlichem Erfolg und Akademikerquote Unsinn ist.
Es wäre ein Irrtum anzunehmen, dass eine Wissens- und Informations-gesellschaft einen deutlich geringeren Bedarf an qualifizierten, nicht akademisch ausgebildeten Arbeitnehmern hätte.
Eine Entwicklung, die steigenden Akademikerzahlen entgegen wirken könnte, zeichnet sich ab: Der hohe Bedarf an nicht akademisch ausgebildeten Fachkräften führt dazu, dass die Unternehmen bereit sind, entsprechende Vergütungen anzubieten. Damit gibt es eine zunehmende Konvergenz der Lebensarbeitseinkommen von Facharbeitern und Akademikern (Christiane Mück).
Fazit
Es heißt Abschied nehmen von einem Automatismus, der davon ausgeht, dass eine akademische Ausbildung zwangsläufig sichere Arbeitsplatz- und Karrierechancen schafft und damit Aussicht auf ein signifikant höheres Lebensarbeitseinkommen. Mögliche Perspektive: Duales Studium.
Literatur:
Nida-Rümelin, Julian (2014): Der Akademikerwahn: Zur Krise beruflicher und akademischer Bildung. Hamburg ed. Körber-Stiftung
Nida-Rümelin, Julian und B. Schnell (2012): Je mehr Akademiker, desto besser? In: Tremmel, Jörg (2012): Eine Theorie der Generationengerechtigkeit, Münster
Lingens, Peter Michael (2012): Brauchen wir mehr Akademiker? In: profil online (27.10.2012) - URL= http://www.profil.at/articles/1243/575/345651_s1/peter-michael-lingens-brauchen-akademiker [01.12.2013]
Generation Hörsaal. Deutschland in der Akademierfalle, Bayerisches Fernsehen, 06.03.2014, 22:11 Uhr, http://br.de/s/14naR3x [31.03.2014]