Die Titanic – Metapher und Menetekel
Der große Ballsaal ist voll mit tanzenden Paaren. Alle amüsieren sich. Selbst die Crew ist vom Glamour und der guten Stimmung mitgerissen. Der Zusammenstoß mit dem Eisberg, das laute knirschen und das verrutschen von Tischen und Stühlen, auch des Schlagzeugs auf der Bühne, lösen nur im ersten Moment Schrecken aus. Dann besinnen sich alle, dass sie ja auf der Jungfernfahrt eines unsinkbaren Schiffes sind und ihnen nichts passieren könne. Und die Feststimmung auf den vielen Decks, in Amüsiersälen und Bars, in den Spielkasions geht weiter.
Während die einen sich amüsieren, versuchen Geschäftsleute an Bord mit dem exklusiven Publikum der amerikanischen und europäischen Gesellschaft die vermeintlichen Geschäfte ihres Lebens zu machen. Für lange Augenblicke ignorierten alle die Katastrophe, die gerade ihren Lauf nimmt. Selbst der Untergang des modernsten Luxusliners der Welt wird zum Superlativ: „Worst Ocean Desaster in the World's History” titelten Zeitungen.
1317 Passagiere und 891 Besatzungsmitglieder, insgesamt 2208 Personen waren an Bord. Rettingsbote boten nur für 970 Personen Platz. Wofür auch, galt das Schiff doch als unsinkbar, als technologisch und schiffsbautechnisch auf dem letzten Stand, als unantastbar. Warum auch sollten die Matrosen im Ausguck mit Ferngläsern ausgetattet werden, warum die Geschwindigkeit der Gefährdungslage angepasst werden und warum auch sollten die von mehreren Schiffen per Funk einlangenden Warnungen vor Eisbergen die Kapitäne zwingen, die Gefahr ernst zu nehmen.
Die Titanic als Metapher für die Hybris technologieorientierter Investoren
Erst allmählich bildete sich die Metapher Titanic heraus. Anfänglich galt der Untergang der Titanic eher als Beleg für menschliches Versagen und gewissermaßen Schwellenzoll in das Zeitalter der Technologie und Hochtechnologie, quasi als Anstoss, „fehleranfälliges menschliches Handeln” durch Technologie zu ersetzen. Seit Jahren aber wird der Untergang der Titanic zunehmend als Metapher für die Hybris technologieorientierter Investoren gesehen.
Fast scheint es, als seien unsere Gesellschaften voran die der industrialisierten Nationen unterwegs wie die Tiatnic: die Kapitäne sind die Politiker, bzw. solche, die sich dafür halten; Reeder sind die Vertreter des anglo-amerikanischen Finanzmarkt-Kapitalismus, die Schiffsbautechniker die Technologieentwickler mit ihrem Credo der Machbarkeit.
Die Jungfernfahrt der Titanic, des „Giant White Star Liners”, sollte eine Erfolgsgeschichte werden, ein Zeichen für die Machbarkeit des noch vor kurzem als unmachbar geltenden. Davon sind Forschung und Entwicklung heute noch beseelt. Vielfach werden sog. Kollateralschäden einfach ausgeblendet: Allem voran die Zerstörung der Umwelt.
Laut zu vernehmen war der Weckruf des Club of Rome, der 1972 in seiner Studie Die Grenzen des Wachstums die Politik vor einer weiteren Ausbeutung der natürlichen Ressourcen der Erde warnte und davor, dass die daraus erwachsenden Folgen bald schon nicht mehr steuerbar, nicht mehr umkehrbar wären. Seither sind zahllose weitere Studien erschienen. Aber das Mindset hat sich kaum verändert, wie wohl viel in Umwelttechnologie investiert wurde — jedoch erst, nachdem Wirtschaft und Anlegermarkt dies als lukrativ erkannt hatten. Dass die Allianz aus dem Kohlegeschäft ausgestiegen ist und nun ihr Kapital im Bereich erneuerbare Energien anlegt, hat unlängst für Aufsehen gesorgt. Das ist kein Beleg für eine Änderung des Mindsets, sondern dies folgt nur der Einsicht, dass mittel- bis langfristig diese Entscheidung den Anlegern eine höhere Rendite bringen wird. Andere, wie die Deutsche Bank, von Umweltschützern gern als „Klima-Killer-Bank Nr. 1” etikettiert, bleiben dabei. Sie investieren in sog. Umwelttechnik, die beitragen soll, die Umweltzerstörung verträglicher zu machen und fahren fort mit Umweltzerstörung. Naomi Klein fragt sarkastisch: „The Solution to Pollution ist … Pollution?”
Die Titanic als Menetekel für den Machbarkeitswahn
Die Natur ist stärker. Das ist es, was die Macher (Technologen, Investoren, Manager etc.) gerne verdrängen. Egal wie freakig es ist, per Smartphone seine Kaffeemaschine einzuschalten, ein vollautomatisiertes Haus zu bauen, die Gesellschaft digital zu kontrollieren, auf dem Mars zu landen, unbemannte Autos und LKWs zu bauen - alles wird bedeutungslos, wenn sich die Natur nicht erwartungsgemäß verhält. Ein Vulkanausbruch wie der des Tambora auf Java 1815 würde auch heute zu einem „Jahr ohne Sommer” führen, zu Ernteausfällen und Hungersnot. Der vergleichsweise kleine Vulkanausbruch des Isländischen Eyjafjallajökull 2010 führte zur Schließung von Flughäfen in vielen Teilen Europas. Die Flüchtlingsströme aus dem Nahen Osten und Nordafrika überfordern das technisch und technologisch hoch gerüstete Europa und führen bis an den Rand des Kollapses unserer Systeme, bringen die Europäische Union an den Rand des Scheiterns. Faschisten finden angesichts dieser Herausforderung Zulauf. In Polen führt so die rechtspopulistische PiS mit absoluter Mehrheit das Land in eine konservative Diktatur der Mediokren.
Nur weil wir Gravitationswellen nachweisen können heißt das nicht, dass wir problemlos die Herausforderungen von Umweltkatastrophen, Unruhen und Kriegen unter Kontrolle halten können. Es wäre naiv das zu glauben. Dennoch sind noch immer viele vom Machbarkeitsdenken besessen, von wirksamer Kontrolle und effektiver Steuerung überzeugt. Das kann und wird sich über kurz oder lang als trügerisch herausstellen - mit katastrophalen Folgen.

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