Was mir Sorgen macht: Die verunsicherte Gesellschaft
In einer verunsicherten Gesellschaft hat vor allem Misstrauen Konjunktur. Misstrauen hat sich zu einem bestimmendem Megatrend mit Blick auf die kommenden Jahre, wenn nicht Jahrzehnte ausgewachsen. Angst als Folge der Verunsicherung beeinträchtigt in vielfältigen Ausprägungen das Lebensgefühl sehr vieler Menschen, Angst vor der Zukunft, vor dem, was kommen wird.
trau, schau, wem?
Nicht nur in Medien hören, sehen und lesen die Menschen, wie selbst Institutionen, denen man bislang ungeschaut vertraut hatte, gezielt Gesetze missachteten, Staat, Geschäftspartner und Kunden schädigten. Nicht nur der Industrie, auch Banken, Versicherungen und vor allem der Politik misstrauen immer mehr Menschen.
Der Fall der Finanzkrise
Um die längst nicht überwundene Finanzkrise zu bewältigen, wurden Konsumenten aufgefordert, mehr zu konsumieren. Damit sollte die Binnennachfrage gesteigert werden, um eine Wirtschaftskrise im Gefolge der Finanzkrise abfangen zu können. Äußerst niedrige Zinsen auf angesparte Vermögen und der Kassandraruf steigender Inflation veranlassten tatsächlich sehr viele Menschen dazu, Anschaffungen vorzuziehen. Sie befürchteten, dass sie sich für ihr Geld schon im folgenden Jahr weniger leisten könnten. Warum also sparen. Und tatsächlich stieg die Inflation anfänglich auf bis zu 3,3 Prozent - in Österreich deutlich höher als bspw. im EU Durchschnitt, insb. im Vergleich zu Deutschland - um in den letzten Jahren auf 0,9 Prozent zu fallen. Niedrige Zinsen, geringe Inflation und billiges Geld veranlassten viele Menschen deutlich über die Verhältnisse zu leben und sich zu verschulden. Aktuell (April 2017) liegt die Inflation wieder bei 2,08 Prozent und sie wird wohl weiter steigen.
Der Leitzins wurde faktisch auf 0 gesetzt und die EZB wird noch bis Ende 2017 damit fortfahren, monatlich 80, ab April 60 Milliarden Euro in den Markt zu pumpen: Für Zocker, Investoren und Finanzspekulanten sind das goldene Zeiten. Die Masse der Menschen muss jedoch erleben, dass mit Finanzspekulation mehr Geld zu verdienen ist, als mit Arbeit, für die es immer weniger Lohn gibt. Dazu kommt, dass durch die Zinspolitik der EZB bei vielen Menschen nicht nur das Sparvermögen, das Geld auf der hohen Kante schrumpft, sondern auch die Altersversorgung einbricht. Das Zinstief, so die FAZ noch im November 2016, lässt die private Altersvorsorge bröckeln.
Neben der Abwendung von Staatskrisen ging es bei der Stabilisierung der Finanzmärkte in erster Linie darum, die enormen Vermögen führender Klans, Konzerne und Banken zu retten und dies letztlich zu Lasten von Steuerzahlern. Die rücksichtslose Umverteilung der Risken und die Umlastung der schlagend gewordenen Belastungen waren für jeden Bürger nachvollziehbar, auch wenn er sich dagegen nicht wehren konnte. Der Eindruck, der zurück blieb: Man hält sich an der Masse der sog. ‚kleinen Leute’ schadlos.
Insbesondere lebt der Mittelstand in der Angst eines wirtschaftlichen und damit sozialen Abstiegs. Die Niedrigzinspolitik der EZB belastet vor allem die kleinen Vermögen des Mittelstands. Vielen ging auf, dass ein schamloser Raubzug im Gange ist. Die Losung lautet: „Gewinne privatisieren und Verluste sozialisieren.” Wenn Politik und Wirtschaft für Maßnahmen zum Nutzen der Allgemeinheit, des Gemeinwohls oder der Bürger werben, dann glaubt das ungeschaut kaum mehr jemand.
Politiker werden als nur noch wenig vertauenswürdig eingeschätzt
Laut einer APA Umfrage halten nur noch 17 Prozent der Österreicher Politiker für vertrauenswürdig. In ganz Europa schneiden Politiker mit 19 Prozent ähnlich schlecht ab . Regierungen und Parlamente kämpfen ebenfalls mit einem schlechten Image und geringem Vertrauen.
Die Abstimmung zum Brexit hat gezeigt, dass Politiker nicht einmal vor plumpen Lügen zurückschrecken, nur um ihre persönlichen Ziele zu erreichen und sich dann zurück ziehen, wenn es heißt Verantwortung für die Folgen ihrer Propaganda zu übernehmen. Dass EU Gegner im EU Parlament sitzen und privilegierte Gehälter und üppige Diäten beziehen zeichnet ein Bild charakterlich verkommener Selbstdarsteller und Selbstbediener. Was ist von solchen Leuten zu erwarten? Sind es nicht narzisstische und eigennützige Provokateure, denen trotz anders lautender Wahlsprüche das Gemeinwohl nicht wirklich ein Anliegen ist, die nur allzu bereitwillig eine Gesellschaft in Widrigkeiten bringen, wenn dieses Mittel dem Zweck der Machtergreifung, Machterhaltung oder der Durchsetzung von partikularen Interessen dient? Die davon abzuleitenden Botschaften: „Jeder muss schauen, wo er bleibt” und „jeder ist sich selbst der Nächste”. Warum sollte man diesen Leuten und ihren Aussagen vertrauen? Vertrauensvorschuss? Eher ist es so, dass es ein grundlegendes präventives Misstrauen gibt.
Kleiner Mann was nun?
Wer mittellos ist, keinen Zugang zu Seilschaften hat, über keine Hebel verfügt, um seine Interessen durchzusetzen und zu wahren, lebt immer mehr in der Angst zum Spielball willkürlicher Kräfte zu werden. Er erlebt, dass diese Angst geschürt wird, dass Andersheit zunehmend von Feindbildern überlagert wird, dass Meinungsfreiheit schleichend zum Dispositionsgut wird, dass Bürgerproteste und das demokratische Grundrecht dazu gegenüber wirtschaftlichen Interessen nachrangig behandelt werden sollen. Gleichzeitig hört er aus Medien, dass Gesetze nachgezogen werden, die in einer restriktiven Auslegung jeglichen organisierten Protest gegen staatliche Willkür und die Selbstgefälligkeit politischer Kasten unterdrücken sollen. Er spürt, dass das Risiko freier Meinungsäußerung steigt - die Rede ist nicht von Russland, der Türkei oder Saudi Arabien, sondern von Österreich. Natürlich lassen sich keine manifesten Absichten zur Unterdrückung aufzeigen. Es geht darum, Bürger zur Selbstzensur zu bringen, das ohnehin latent vorhandene Selbstbild des Untertanen wieder zu beleben.
Die, die etwas zu verlieren haben, neigen nicht selten zu opportunistischem Verhalten. Dann gilt „reden ist Silber, schweigen ist Gold”. Sie wissen instinktiv, dass nicht die Stärksten überleben, sondern die Anpassungsfähigsten. Ihre Zurückhaltung hinterlässt im öffentlichen Leben ein Vakuum, das von jenen gefüllt wird, die von sich glauben, nichts zu verlieren zu haben, vielmehr nun endlich zum Zug zu kommen. Dieses Phänomen ist in den Sozialen Medien deutlich auszumachen. Die Poster, Trolle und Flegel haben viele vertrieben. Mit Rüpeln, Hetzern und oftmals schlicht dummen Menschen will man sich ja nicht auseinandersetzen. Immerhin gilt: „Pack schläg sich” Die, die Angst davor haben oder sich schlicht zu gut dafür sind, sich auf gleiche Stufe mit diesen Leuten zu stellen, haben schon lange aufgehört auf Facebook, Twitter & Co politische und gesellschaftliche Diskussionen zu verfolgen und sich daran zu beteiligen. Dieses Feld wird Leuten überlassen, die es früher noch nicht einmal an die Stammtische geschafft hätten. Darunter viele Ewig-Gestrige. Anfang der 80er Jahre ergab eine Sinus-Umfrage in - damals noch West- Deutschland, dass gut 13 Prozent der Bevölkerung über ein „geschlossenes rechtsextremes Weltbild“ verfügten und 37 Prozent empfänglich seien für „rechtsextreme Denkinhalte“ . Ich befürchte, dass das zumindest gleicherweise für Österreich zutrifft und heute nicht weniger gilt als damals.
Die Gefahr der Eskalation
Gewalt in der Sprache geht körperlicher Gewalt voraus. Die Verrohung der Sprache, selbst im politischen Diskurs gewählter Mandatare, verschreckt. Wie viele misstraue auch ich Menschen, die sich ihrer radikalisierten und teils menschenverachtenden Ausdrucksweisen nicht bewusst sind, oder noch schlimmer, für die diese Ausdruck ihrer inneren Einstellung ist.
Privatsphäre und Datenschutz
Ein unseliges Narrativ, dass ein mehr an Überwachung ein mehr an Sicherheit bringe, führt dazu, dass der Datenschutz immer weiter ausgehöhlt wird und damit die Privatsphäre bedroht ist. Obwohl es keinen Beleg dafür gibt, dass ein Mehr an Überwachung, ein Weniger an Bürgerrechten ein Mehr an Sicherheit garantieren könnte. Das ist ein von rechten Politikern in die Welt gesetztes Narrativ. Der Preis: Durch das gebetsmühlenartige Beschwören terroristischer Gefahren, durch die Bereitschaft über Xenophobie parteipolitisches Kapital zu schlagen, werden Bürger*innen zunehmend verunsichert. Unmerklich driftet die Demokratie nach rechts. Es funktioniert wie beim Frosch: Erhitzt man langsam aber stetig das Wasser in welchem der Frosch sitzt, merkt er zu spät, dass er gekocht wird. Würde man ihn in heißes Wasser werfen, würde er sofort herausspringen.
Ein nicht weniger hinterhältiges Narrativ wird von Unternehmen verbreitet: Je mehr Daten ein Unternehmen über das Verhalten seiner Kunden hat, desto maßgeschneideter können Dienstleistungen und Produkte werden, desto größer wird demnach die Kundenzufriedenheit sein. Hier bringt die Datenschutz-Grundverordnung, die 2016 beschlossen wurde, eine positive Entwicklung. Zusammen mir der 2018 ebenfalls wirksam werdenden E-Privacy Verordnung wird der Datenmissbrauch durch Unternehmen in Schranken gewiesen (vgl. Warum sind DSGVO und E-Privacy-VO Gegenstand einer Marketingberatung?). Gut so. Aber wie lange wird es dauern, bis Schleichwege durch Grauzonen wieder salonfähig werden.
Wer packts?
Noch geht es uns gut. Aber es fragt sich, ob dieser bürgerliche Wohlstand nicht eine Variante des panem et circensem ist.