Abiturrede des Jahrgangs 1978 - Gymnasium Untergriesbach
Vorbemerkung: Im Rahmen des Festgottesdienstes zur Abiturfeier kam es zu einem Eklat. In der Predigt warf Peter Wild, ein Religionslehrer, den Abiturientinnen und Abiturienten „Selbstherrlichkeit” vor und wünschte ihnen, dass sie das Leben noch recht „ordentlich zurechtstutzen” werde. Noch während des Gottesdienstes wurde eine Replik darauf in die Abiturrede eingearbeitet.
Abiturrede
Gymnasium Untergriesbach 1978
Redner H.W.
Im Arbeitskreis erarbeitet u.a. von H.W., E.M., E.P., S.T., H-H-A.S., J.M., C.L.
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Eltern,
wenn es darum geht, sich hier zu diesem freudigen Anlass von Schüler Seite aus zu Wort zu melden, so kommt diesem Teil des Festprogramms neben dem Ausdruck der Freude darüber, dass wir es nun endlich geschafft haben, im allgemeinen Verständnis einer Abiturrede doch eine besondere Verantwortung zu. – Eine Verantwortung, die wir Abiturienten zunächst einmal vor uns selbst, insbesondere vor den nachfolgenden Jahrgängen, aber in erster Linie doch vor ihnen – sehr verehrte Lehrer – zu tragen haben, da sie dieses Gymnasium auch in Zukunft weiterführen werden.
Man müsste es schlicht gesagt als Unmündigkeit und Unreife werten, würde sich ein ganzer Jahrgang mehr oder weniger sang- und klanglos empfehlen, ohne den einen oder anderen wichtigen Gedanken hinsichtlich dessen, was sich besonders in den letzten zwei Jahren hautnah in Kontakt mit der Institution Schule ergeben hat, nicht zumindest einmal angesprochen zu haben. Es hieße ganz einfach trotz Reifezeugnis das Bildungsziel verfehlt zu haben, am wesentlichen also vorbeigegangen zu sein, würde man, dem Alltagsstress und Prüfungsdruck endlich enthoben, diese neue, einen weiteren und kritischen Überblick gestattenden Perspektive nicht nutzen, nicht zu einer Aussage formen, würde man sich in einem stillen "endlich ist es geschafft" jeglicher Verantwortung an dem, was man bewusst und unbewusst und mehr oder weniger willentlich selbst mit getragen hat, entziehen.
Unter dem grundsätzlichen Tenor des kritischen betrachtenden Rückblicks glauben wir daher ihren Erwartungen – sehr verehrte Lehrer, liebe Eltern – am ehesten entsprechen zu können, und auf diese Weise auch der traditionellen Sinngebung eine Abiturrede als Nachweis der Gesellschaftsfähigkeit insofern gerecht werden, als man ja in einem grundsätzlich demokratisch strukturierten Staat mit Gesellschaftsfähigkeit doch wohl vor allem die Fähigkeit zur konstruktiven Kritik meint.
Da uns aber – unberührt von diesem Einleitungsgedanken – in erster Linie doch ein ganz anderes Thema bewegt, das dem kritischen Teil auch unbedingt voranzustellen ist, gestatten Sie mir bitte – sehr verehrte Damen und Herren – an erster und vorrangig Vorangestellte das zum Ausdruck zu bringen, was uns Abiturienten hier zunächst am Herzen liegt, nämlich ein herzliches Wort des Dankes an sie – sehr verehrte Eltern – die Sie an unserem Erfolg mit einem stillen, unauffälligen aber nicht hoch genug zu schätzenden Einsatz beteiligt sind.
Dabei ist uns in dieser Hinsicht eigentlich weniger der Hinweis auf den besonders durch die Kollegstufe sehr beträchtlich angewachsenen finanziellen Aufwand als vielmehr der, auf die menschliche Komponente dieser ihrer Hilfe und Unterstützung wichtig, die immer dann gefordert und oft auch überbeansprucht war, wenn es darum ging, schulische Niederlagen zu verwinden, künftigen Prüfungen mit neuem Willen entgegenzusehen, und wenn die Wirkung des Alltagsstresses den Schüler, den Kollegiaten oder – wenn man so will – den Dauerprüfling zur unausgeglichenen gereizten Familienbelastung werden lässt.
Die Bewältigung dieser an sich mit nichts zu rechtfertigenden menschlich–psychischen Belastung ist in entscheidendem Maße von ihnen mitgetragen worden – sehr verehrte Eltern – woran wir in diesem Rahmen unbedingt erinnern wollen und wofür wir uns herzlich bedanken.
Diese erste kurze Andeutung einer der Folgeerscheinungen des Kollegstufenalltags führt mich bereits direkt in das Zentrum des kritischen Rückblicks, den wir Abiturienten uns hier vorgenommen haben, und dieses Wir ist insofern ganz wörtlich zu verstehen, da der Inhalt dieser Stellungnahme von einem Arbeitskreis zusammengestellt wurde.
Unsere nachbereitende Auseinandersetzung mit den nun durchstandenen zwei Jahren Kollegstufe kreiste immer wieder um ein Phänomen, das uns allen täglich begegnete, von dem allerdings immer noch häufig behauptet wird, es existieren nur im Munde der Politiker, nämlich der sogenannte Schulstress – ein Phänomen mit Schlagwortcharakter also, zu dem sich die eigentlich Betroffenen unbedingt äußern sollten.
Eine schulische Ausbildung, die vor allem auch die Hinführung zur Hochschulreife beinhalten soll, ist sicherlich ohne Leistungsnachweis nicht möglich; dass sich dieser Nachweis wohl kaum jemals ganz von dem zwanghaften Charakter des "Müssen" befreien lässt, erscheint ebenso logisch.
Bedenklich wird diese Situation allerdings sicherlich dann, wenn eben dieser Leistungsnachweis in Form von Prüfungen aller Art nach und nach zum Zentrum der Ausbildung, zur Dauererscheinung wird – bedenklich deshalb, weil sich das ganze Denken und Lernen des Schülers dann weniger am Inhalt orientiert, sondern sich immer mehr nach Gesichtspunkten der Rentabilität, der Verwertbarkeit, des direkten Wiederverkaufswert des gegen Punkte vollzieht; wobei wichtige Elemente eines abgerundeten Bildungsbegriffes – auf den ja gerade das Gymnasium Wert legt – Gefahr laufen, auf der Strecke zu bleiben.
Es ist nun aber gerade ein kennzeichnendes Moment des Kollegstufensystems, das zwar die früher alles entscheidende Bedeutung der Abiturprüfung entschärft wurde, der Prüfungsdruck sich aber jetzt ziemlich gleichmäßig auf die letzten zwei Gymnasialjahre verteilt, und ihnen so einen dauernden Prüfungscharakter verleiht, der für den Schüler zum einen eine erhebliche Steigerung des Arbeitsaufwandes, aber vor allem auch eine größere Nervenbelastung bedeutet.
Im selben Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass eine Wahl der Leistungskurse nach persönlichen Gesichtspunkten der Neigung und des Talents, die die erhöhte Leistungsanforderungen der Kollegstufe sicherlich in gewissem Maße ausgleichen könnte, aus vielerlei organisatorischen Gründen eingeschränkt, nur den wenigsten möglich ist, und schließlich vom einzelnen Kollegiaten verständlicherweise nach kühl ökonomischen Gesichtspunkten getroffen wird, z.B. mit Rücksicht auf die Grundkursbelastung, den jeweiligen Kursleiter oder der in Aussicht stehenden Punktefülle, die sich ja bei etwa gleichem Aufwand von Kurs zu Kurs und von Lehrer zu Lehrer manchmal als durchaus unterschiedlich erwiesen hat.
Der angehende Kollegiat richtet sich also – sofern er auch nur ein Mindestmaß an Eigenverantwortung und Zukunftsbewusstsein mitbringt, oder sich vielleicht sogar erdreistet, einen Numerus Clausus aufs Korn zu nehmen – auf ein zweijähriges Punkte sammeln ein, das heißt er unterwirft sich in dieser doch sehr langen Zeit einem genau ausgeklügelten stundenplantaktisch und strategisch möglichst ökonomischen Schlachtplan, wird es auch in Kauf nehmen, dass sich dieses Sammeln immer mehr zur verbissenen Punktejagd auswächst, und lernt mit zunehmender Erfahrung, alle seine Kräfte immer nützlicher, immer nutzbringender, also auch Punkte bringender einzusetzen, wobei er für punktelose Belange zunehmend unansprechbar wird.
Es geht also zwei Jahre lang in erster Linie um jene Punkte, die sich dann schließlich zur Endabiturnote summieren, wobei auf diese Weise der Bildungsbegriff immer mehr den Charakter eines Ausleseprinzips annimmt, das die Bedeutung der Bildungsinhalte vernachlässigt und beginnt um seiner selbst willen zu bestehen. Der Schüler arbeitet ausschließlich, um in den dauernd anfallenden Prüfungen Punkte zu sammeln, was natürlich nicht ohne Auswirkungen auf das Schulklima bleiben kann.
Die Erscheinung des Schulstress – und darauf wollten wir ja hinaus – hat also neben dem tatsächlichen mehr an Arbeit– und Zeitaufwand vor allem auch damit zu tun, dass ein Schüler eben keine Maschine ist, die sich so ohne weiteres zwei Jahre lang auf Wissensverarbeitung und Leistungsnachweis programmieren lässt, dass mit der verstärkten Inanspruchnahme durch Kollegstufe das Bildungsspektrum zwangsläufig zu eng wird, um einen jungen Menschen wirklich befriedigen zu können, was doch wohl die wichtigste Voraussetzung für schulische Leistungsförderung sein sollte – zwangsläufig zu eng deshalb, weil gerade die erweiternden, den Schüler auch in den anderen Bereichen seines Wesens fordernden Fächer wie Kunst, Musik und auch Sport, ja schon seit der fünften Klasse mehr oder weniger als besseres Anhängsel mitgeschleppt und insgeheim dem privaten Bereich überlassen werden, der sich ja mit zunehmender Abiturnähe ohnehin dem Existenzminimum näherte.
Dabei handelt es sich aber um Fächer, die nicht nur in der Lage wären, den Schulalltag abwechslungsreicher, interessanter und somit stressfreier zu gestaltet, den Schüler über seine rein logischen Fähigkeiten hinaus gerade in seiner Individualität, also als Mensch zu fordern – Fächer, die ihn in der Schule ganz einfach mehr anwesend sein lassen, als das jemals aus einer Absenzenbilanz hervorgehen würde.
Es betrifft viel mehr vor allem auch jene Bildungsbereiche, die darüber hinaus ahnen lassen, dass Kultur mehr bedeutet als Profit und Wohlstand, dass er Mensch für mehr verantwortlich ist, als für Wachstum und den sogenannten Fortschritt. Denkt man nur in diesem Zusammenhang an die alljährlichen Weihnachts- und Abschlussfeiern zurück, so wird man als Außenstehende diese angenehme Erinnerung als Nachweis allgemeiner musische Bildung der Gymnasiasten nehmen wollen. Und insofern – ohne ihnen, sehr verehrte Damen und Herren und uns die Freude daran Verderben zu wollen – aber insofern liegt in diesen alljährlichen Darbietungen eine tiefe Unehrlichkeit – so schön sie auch sein mögen und so viel Spaß sie uns Mitwirkenden auch immer wieder machen.
Der betont kulturelle Rahmen, der die Schule vor ihnen – sehr verehrte Eltern – repräsentieren soll, ist leider keineswegs repräsentativ, weder für den Schulalltag noch für die allgemeine Wertschätzung eben dieses Bildungsbereiches. Und was ich mit tiefer Unehrlichkeit konkret meine ist die Tatsache, dass alle mitwirkenden Schüler, sei es im Orchester, sei es Chor oder Theater alljährlich zur Zeit der Sonderproben ganz handfeste schulische Benachteiligungen einstecken müssen, dass es ihnen allein überlassen bleibt, den versäumten Stoff nachzuholen, der im Schulaufgabendruck in aller Regel rücksichtslos weitergeführt wird. Dass dennoch immer wieder unverdrossen weiter geprobt wurde, dass z.B. die Orchestermitglieder jahrelang auf den freien Freitagnachmittag verzichtet haben, dass man sich in Flucht vor dem Schulalltag oft sogar an Wochenenden und Ferientagen zusammengefunden hat, findet neben dem intensiven Engagement von Herrn Wolf vor allem darin seine Erklärung, dass es ganz einfach Spaß gemacht hat.
Diesen außerordentlichen Einsatz muss man sicherlich auch als allgemeine Willensbekundung der gymnasialen Jugend werten, die aus den Reihen gedanklich logisch bestimmten, leistungsbetonten Fächern hinausdrängt und sich von selbst einer umfassenderen Bildung zuwendet.
Dieses konkrete, durchaus fassbare Bildungsbestreben wird nun gerade durch die zunehmende Leistungsförderung als Relativpunkte lose Angelegenheit in den Hintergrund gedrückt.
Umfassende Persönlichkeitsbildung kann unserer, der Betroffenen Meinung nach, auf ernsthafte Beschäftigung in diesen Bereichen genauso wenig verzichten wie unsere Gesellschaft auf die darin vermittelten Bildungsinhalte verzichten kann, auf jene Reife, Verantwortlichkeit und auf jenen Weitblick, der wohl aus einem in diese Richtung erweiterten Bewusstsein am ehesten zu erhoffen ist, jene Verantwortlichkeit, die zur Lösung typisch moderner Probleme so notwendig ist.
Die gegenwärtige Tendenz geht allerdings gerade durch die Kollegstufe weiterhin in verengende, spezialisierende Richtung, hin zum Fachwissen. Der dadurch bedingte Konflikt mit dem gymnasialen Allgemeinbildungsideal drückt sich nun in erster Linie in einer erhöhten Forderung an den Schüler aus.
Und wenn sich gewiss auch darüber streiten lässt, ob die zunehmende Leistungsförderung das Wesentlichste im Moment der Oberstufenreform ist, so kann sicherlich darüber kein Zweifel bestehen, dass es sich um das beständigste, ja sogar einzig expandierende Moment des ansonsten in Auflösung begriffenen Kollegstufenmodells ist. Hier stellt sich natürlich die Frage, ob denn allein die Leistungssteigerung und der zweijährige Abiturprüfungsdruck dieses Reformmodell überleben wird und soll.
Jedenfalls hat es uns Abiturienten tief beeindruckt, wie sich Kollegiaten der jetzigen K12 in manchen sogenannten Grundkursen immer wieder über einen einzigen Punkt ehrlich freuen konnten, wenn sie sich durch weiter verschärfende Neuverordnungen mit viel weniger zufriedengeben müssen, als wir das taten.
Eine, wie wir finden, besonders traurige Auswirkung dieser Situation ist nun die Beeinträchtigung des Schulklimas, des persönlichen Miteinanders vor allem unter uns Schülern.
Der besondere Charakter der letzten zwei Kollegstufenjahre ist ja zweifellos dazu angetan, auf eine zunehmende Vereinzelung der Schüler untereinander hinzuwirken; neben der unterschiedlichen Kursbelegung und der zu bewältigenden Stofffülle ist es vor allem das dauernde Prüfungsgefühl, das den Schüler bewegt, sich mehr auf sich, mehr auf seine Leistungen zurückzuziehen, wodurch in zunehmendem Maße der Typus des allein vor sich hin lernenden Schülers – wenn man so will – der des isolierten Einzelkämpfers geprägt wird; eine Entwicklung also, die dem Egoismus als Lebensprinzip grundsätzlich entgegenkommt.
Die mitmenschlichen persönlichen Beziehungen unter uns Kollegiaten ließen sich allerdings bereits dann als gestört, zumindest aber als angeschlagen bezeichnen, führte man sich hier einmal zusammenfassend alle Szenen des gegenseitigen Unverständnisses, der Intoleranz, des Vorurteils, alle Szenen des gegenseitigen Neides noch einmal vor Augen. Ich glaube es gibt unter uns Abiturienten kaum einen Mitschüler, der sich nicht einmal mit Gewalt gerade gegen das Gefühl des Neides unter Konkurrenz auflehnen musste.
Wenn wir uns also manchmal ganz spontan zu einer gemeinsamen Feier versammelt haben, so möchte ich das ohne jede Ironie als Überlebensreflex der Gemeinschaft bezeichnen, und ganz ernsthaft als Vorschlag an die jetzige K12 weiterleiten. Vielleicht könnte sich die zurzeit ohnehin lädierte Solidarität unter uns Schülern auf diese Weise am ehesten regenerieren. Auch Klassenfahrten sind in dieser Richtung sicherlich eine vielversprechende Möglichkeit.
Daraus, dass aus unserer Abiturfahrt nichts geworden ist, Ihnen, sehr verehrter Herr Direktor, einen direkten Vorwurf zu machen, wäre sicherlich fehl am Platze, zumal sie ja durch den Neubau und anderes genug gestresst sind. Es ist nur eben sehr bezeichnend, dass gerade solche Aktionen am ehesten der Bürokratie zum Opfer fallen, einfach vergessen werden. Im Hin und Her lange verschollener, plötzlich wieder auftauchender Verordnungen konnte man als Schüler allerdings gar nicht umhin, langsam den Eindruck zu gewinnen, man sei dieser Abiturfahrt vielleicht gar nicht ganz gesonnen, die alles noch mehr komplizieren würde und so notwendig auch wieder nicht sein. Besonders enttäuscht war man nun über den jähen Abbruch einer bereits bestehenden Tradition insofern, da man sich als erster Jahrgang aufraffte, die Abiturfahrt selbst zu organisieren, so dass man sich gerade in dieser Eigeninitiative nicht ganz ernst genommen fühlte. – Eine Befürchtung übrigens, die die Kollegiaten ohnehin schon lange bedrückt.
Bei der Regelung der Absenzen hat sich nämlich in den letzten Jahren ein System etabliert, das dem Kollegiaten in seiner Selbstverantwortung auf die Stufe eines Fünftklässlers stellt, und zwar deshalb, weil er dabei genau das machen muss, was unsere Jüngsten auch schon können, nämlich lügen. Und dies auf eine sehr unkomplizierte, schriftliche Art, wobei man sich mit oft obskuren Krankheitsgründen regelmäßig dafür entschuldigte, dass man brandeilige Leistungskursarbeit den oft belanglosen Grundkursen und Freistunden vorzog. Ganz abgesehen davon, dass man sich des Eindrucks immer weniger erwehren konnte, nicht ganz für voll genommen zu werden, ist dies gerade in seiner praktischen Ausformung eine Erziehung zum Illegalen.
Um nun auf die Solidarität unter uns Schülern zurückzukommen, so bleibt dennoch festzuhalten, dass es uns einfach an Wir–Bewusstsein und Zusammengehörigkeit fehlt, an jenem grundsätzlichen Interesse und jenem Willen zur Kritik und Mitarbeit, den gerade Einrichtungen wie die SMV unbedingt brauchen, um effektiv am Schulalltag mitgestalten zu können. Auch die Tatsache, dass es bis vor kurzem bei uns keine Schülerzeitung gegeben hat, dass unsere Bemühungen in diese Richtung am totalen Desinteresse gescheitert sind, ist ein Beweis dafür. Der für eine wirklich lebendige Demokratie notwendige Wille, das, was zu sagen wäre, auch wirklich auszusprechen und zu vertreten, ist an unserem Gymnasium sehr unterentwickelt, und droht einer passiven Grundstimmung zu weichen, die vielleicht noch den einen oder anderen Fluch auszustoßen vermag, aber bereits daran scheitert, diesen in angemessener Form z.B. durch eine Schülerzeitung zum Ausdruck zu bringen.
Gerade im Interesse der Erziehung zur Demokratie könnte man als Lehrer besonders in den unteren Klassen sehr zum richtigen Verständnis einer Schülerzeitung und der SMV–Arbeit beitragen, könnte man leicht ein aufgeschlosseneres Bewusstsein schaffen, das über allem Noten – und Prüfungsdruck nie die Fähigkeit verliert, sich kritisch zu äußern, das nie die Eigenart aufgibt, in persönlichen Ideen und Vorstellungen mitwirken zu wollen.
Eben dieses Selbstverständnis eines Gymnasiasten könnte, wie auch die schon erwähnten Punkte verstärkt dazu beitragen, dass es sich zu diesem Gymnasium, dass er ja mit trägt, dessen Teil er ja ist, auch zugehörig fühlt und sich damit in gewisser Weise für es verantwortlich fühlt.
Diese verantwortliche Verbundenheit mit dem, was man als Einzelner mitträgt, ist ja doch wohl als elementares Grundgefühl echter Demokratie zu bezeichnen, als das, was den Schüler zum Demokraten werden lässt, dessen Verlust sicherlich gefährlich wäre.
Es ist nun aber zu beobachten, das war mit zunehmender Leistungsforderung, mit dem sich verengenden Bildungsspektrum, und auch mit der rein organisatorischen Komplizierung durch Kollegstufe, auf die hier angesprochenen Bildungsbereiche immer mehr verzichtet, sie also zunehmend unter den Tisch fallen, was im Extremfall dazu führen kann, dass eben jenes integrierende Moment wegfällt, dass kaum ein Gefühl der Verbundenheit mit der Schule bestehen bleibt und die allgemeine Grundstimmung des Schülers schnell in unsachliche Aggression und blinden Hass gegen diese Institution umschlägt.
Ein Gefühl, das sie schließlich nicht mehr sachlich, sondern nur mehr emotionell äußert. Eine Grundstimmung und Grundhaltung, die, wenn sie sich den jungen Menschen erst einmal eingeprägt hat, gerade dazu prädestiniert ist, aus vielleicht nichtigem Anlass in einen allgemeinen Gesellschafts– und Systemhass umzuschlagen, und hiermit nähert sich der Gedankengang – und mehr soll es auf keinen Fall sein – der psychologisch emotionalen Grundsituation des Terrorismus, wobei sich diese Annäherung gerade in dem nicht Verbundensein, in der Nicht–Integration des Einzelnen im jeweiligen Ganzen, findet.
Die Rede von Carl Friedrich von Weizsäcker zum Thema Terrorismus, die unser Bundespräsident Dr. Walter Scheel allen Abiturienten zukommen ließ, war sicherlich, gerade mit dem Hinweis auf die komplexe Motivation des Terrorismus und der Warnung davor, ihn nur als isoliertes Phänomen zu verstehen, als eine Aufforderung an uns, sich darüber Gedanken zu machen, gemeint, woran wir Abiturienten schon allein deshalb nicht vorbeikönnen, da beinahe alle Terroristen sich auf unserem jetzt erreichten Bildungsstand befinden.
Auch ist in diesem Zusammenhang sicherlich der Tatsache Rechnung zu tragen, dass es sogar in unserem provinziell ländlichen Raum junge Menschen gibt, die diesen Gedanken nicht von vornherein von der Hand weisen.
Um nun gegen Ende wieder auf das Hauptthema diese Stellungnahme zurückzuführen, möchten wir noch einmal festhalten, dass das Phänomen Schulstress uns neben dem tatsächlichen mehr an Einsatz auch und vor allem in einem Gefühl der Unzufriedenheit, der Unbefriedigtheit gegenübertritt.
Und wenn – sehr verehrte Damen und Herren – sich die Predigt unseres Abiturgottesdienstes fast ganz auf den Aspekt der Selbstherrlichkeit der Schüler versteifte, so bedarf dies doch der Einschränkung, dass eben jenes enttäuschende Gefühl nicht so ganz gemeint zu sein, eine ganz natürliche Distanz in uns Schülern hervorrufen muss, über die wir selbst keineswegs zufrieden sind.
Man kann diese uns zur Last gelegte Selbstherrlichkeit nämlich auch als Moment jener Unbefriedigtheit, jener Enttäuschung verstehen, der Enttäuschung darüber, sich manchmal so einseitig als nur Leistende verstanden zu fühlen.
Diese Erscheinung des Schulalltags nur als isolierte Charakterschwäche zu begreifen, hieße sicherlich, sie ganz einfach zu eng zu sehen, an der eigentlich weiterbringenden Frage stehenzubleiben, eben jene Unzufriedenheit außer Acht zu lassen, auf die diese Rede hinweisen wollte und die, wie vieles, sehr vielfältige Ursachen hat.
Einiges davon hier anzudeuten war unser Bestreben.
Man würde nun diese unsere Abschiedsrede ganz bestimmt in einem wesentlichen Punkt unvollständig lassen, wollte man sie hier an dieser Stelle mit dem Ende der kritischen Betrachtung abbrechen.
Erlauben Sie mir also – sehr verehrte Damen und Herren – zum Abschluss noch einen besonders herzlichen Dank an meine zwei Leistungskursleiter auszusprechen, die ich stellvertretend für alle Lehrer nennen möchte, denen es gelungen ist, durch Kursklima über zwei Jahre hinweg in solch angenehmer Weise zu gestalten, die es verstanden haben, den Unterricht auf der Basis einer unverkrampft freundlichen und gelockerten Zusammenarbeit zu führen; eine Zusammenarbeit, in der sie keinen Aufwand und kein Entgegenkommen gescheut haben, um uns das Lernen so angenehm wie möglich zu machen, sodass diese Beziehung teilweise sogar freundschaftlichen Charakter annehmen konnte. Besonders für diesen menschlichen Einsatz können Sie des Danks und der tiefen Sympathie alle ihre Schüler gewiss sein.
Im selben Zusammenhang wollen wir uns auch sehr herzlich bei Herrn Wolf bedanken, der uns in seinem aufgeschlossenen und einsatzfreudigen Bemühen um die Belange der Kollegiaten ein wahrer Lehrer des Vertrauens wurde, wie wir uns ihn besser nicht hätten wünschen können.
Auch bei Ihnen sehr geehrter Herr Direktor möchte ich mich, und nicht etwa nur der Form halber für das immer freundliche miteinander bedanken. Ich hätte mich zwar auch gerne für eine gelungene Abiturfahrt bedankt, aber dazu wird sicherlich der nachfolgende Jahrgang Anlass genug haben.
Gerade im Hinblick auf den freudigen Anlass dieses festlichen Rahmens möchten wir Abiturienten es auf keinen Fall versäumen, eines Lehrers zu gedenken, an dessen Grab wir vor etwa einem Jahr standen. Oberstudienrat Roland Fischer hatte sich die, auch für Lehrer sehr aufreibende Leistungskursarbeit und die damit verbundene Abiturverantwortung stark, wenn ich zu stark zu Herzen genommen, wobei die Bezeichnung aufreibend tragischerweise wörtlich verstanden werden muss. Dabei gab es kaum einen Lehrer, der uns besonders aus den ersten Jahren unsere Gymnasialzeit in so lebendige Erinnerung geblieben ist, der es so verstanden hatte, uns Kinder zu begeistern. Diesen traurigen Todesfall nun wiederum auf die Fragwürdigkeit des Kollegstufensystems zu beziehen, hieße sicherlich, ihn auszubeuten; warum ich es auch unbedingt mit diesem Hinweis darauf bewenden lassen möchte.
Am Ende unserer Abschiedsrede angelangt, möchten wir Abiturienten unserem Gymnasium Untergriesbach trotz aller Kritik, und vielleicht gerade deshalb alles Gute für die Zukunft wünschen, und unseren Mitschülern der unteren Klasse das notwendige Glück.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Transcript der Kopie des Redemanuskripts besorgte C.L. am 6.5.2018
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