Lehre an Fachhochschulen — Fehlentwicklungen
Soweit mir bekannt ist, gibt es keine soliden Untersuchungen zur Hochschullehre, zumal in Fachhochschulen, in welchen neben den fachlichen auch die pädagogisch-didaktischen Kompetenzen einer vergleichenden Kritik unterzogen worden wären. Insofern muss ich auf meine Erfahrungen und den Erfahrungsaustausch mit Kolleg*innen zurückgreifen. Das bedeutet, dass diese nicht generalisiert werden können, was umgekehrt aber nicht bedeutet, dass es sich bei dem hier Geschilderten um Ausreißer einer ansonsten über der Kritik stehenden Praxis handle.
Lektor*innen
Es wäre lohnenswert und sicherlich auch notwendig, der „Lehrkompetenz” ordentlich bestallter Hochschulprofessor*innen nachzugehen. Der Fokus dieses Beitrags liegt jedoch bei nebenberuflich Lehrenden, den so genannten Lektor*innen. Immerhin ist das Verhältnis von Lektor*innen beispielsweise an der FH OÖ mit 86,7 Prozent gegenüber hauptamtlich Lehrenden beträchtlich; in Zahlen: 1446 : 221. Dabei wird dieses Missverhältnis an anderen Fachhochschulen, z.B. der des bfi Wien (92,3%) oder der im Burgenland (90,5%) noch übertroffen. Die FH Kärnten schneidet mit 76,6% am besten ab.
Zurecht hat daher die Wissenschaftssprecherin der Grünen, Sigrid Maurer, 2017, damals noch Abgeordnete zum Nationalrat, darauf hingewiesen, dass es hier dringenden Handlungsbedarf gäbe.
Handlungsbedarf gäbe es
- beim Missverhältnis von externen Lehrenden und hauptberuflich Lehrenden,
- aber auch bei der Qualitätssicherung
Das Missverhältnis von Lektor*innen zu hauptberuflich Lehrenden
Der Deutsche Wissenschaftsrat empfiehlt ein Verhältnis von 80 Prozent hauptberuflich zu 20 Prozent nebenberuflich Lehrenden. Dementgegen ist die Situation in Österreich geradezu auf den Kopf gestellt.
Das dürfte wohl in erster Linie der Finanzierungspragmatik geschuldet sein. In Oberösterreich beispielsweise ist die Besoldgungssituation exquisit und auch die weiteren Benefits lassen nichts zu wünschen übrig. Das Land OÖ könnte es sich nicht leisten, die Zahl hauptberuflich Lehrender zu versechsfachen, um das vom Wissenschaftsrat empfohlene Verhältnis zu nebenberuflich Lehrenden zu erfüllen.
Das Problem der Qualitätssicherung
Einige der wichtigsten Punkte:
- Es fehlen standardisierte Recruitingprozesse oder richtige Berufungsverfahren, wie sie an Universitäten üblich sind
- 58 Prozent der Lektor*innen haben einen niedrigeren Abschluss als das Doktroat / PhD (bei hauptberuflich Lehrenden 56%) (ebd.)
- Sogar unter den hauptberuflich Lehrenden sind nur 4 Prozent habilitiert (ebd.)
- Unzureichende pädagogisch-didaktische Kompetenzen
- Fehlende Zielvereinbarungen und fehlende standardisierte Evaluationen
Intransparenz bei der Auswahl und Bestellung von Lektor*innen
Wegen häufig fehlender standardisierter Recruitingprozesse ist es schwer, Beauftragungen von Lektor*innen nachzuvollziehen. Wegen fehlender Transparenz kann man kaum auf veröffentlichte Daten zurückgreifen, sondern ist auf den eigenen Erfahrungsbereich angewiesen und was der Austausch mit Kolleg*innen ans Licht bringt.
Im Wesentlichen liegt die Entscheidung darüber, wer als Lektor oder Lektorin unter Vertrag genommen wird, bei der Studiengangsleitung. Es ist mir in über zehn Jahren an der FH OÖ nicht gelungen, herauszubekommen, nach welchen Gesichtspunkten oder Regeln Kolleg*innen als Lektor*innen ausgewählt wurden.
Nicht selten werden Unternehmen angefragt, bzw. Mitarbeiter*innen von Unternehmen, zu welchen eine Kooperation gesucht wird. In einem krassen Fall, hatte der Geschäftsführer ein solches Angebot abgelehnt, aber auf eine Teilzeit-Mitarbeiterin verwiesen, die noch dabei war, ihren Master zu machen. Mit Ihr wurde dennoch ein Lehrvertrag vereinbart, noch bevor sie ihr Masterstudium erfolgreich abgeschlossen hatte. In diesem Fall war nicht nur die fachliche Qualifikation bezogen auf die wissenschaftlichen Inhalte unzureichend gegeben, sondern auch die Qualifikation aus praktischer Erfahrung, da diese Mitarbeiterin erst eineinhalb Jahre und das halbtags in dem Betrieb gearbeitet hatte.
Geringer Anteil promovierter oder habilitierter Lehrender
Deutlich mehr als die Hälfte der nebenberuflich und hauptberuflich Lehrenden haben kein Doktorat/ PhD und die Zahl habilitierter Lehrender ist mit 4 Prozent minimal. Seitens vieler Fachhochschulen wird diesem Umstand mit dem Hinweis begegnet, dass an Fachhochschulen anders als an Universitäten weniger geforscht werde, dafür berufsbezogen, angewandt ausgebildet werde. Dem steht entgegen, dass Fachhochschulen in den letzten Jahren teils vehement für sich auch Forschung reklamieren, selbst Grundlagenforschung betreiben wollen und entsprechend auch Mittel aus dem Forschungsfond beantragen und erhalten.
Ein Insider kommentierte den Umstand mangelhafter wissenschaftlicher Qualität vieler Bachelor- und Masterarbeiten lakonisch: Wie sollten die Studierenden Ahnung davon haben, was es heißt, wissenschaftlich zu arbeiten, wenn es selbst viele Lehrende nicht wissen.
Mangelhafte bis fehlende pädagogisch-didaktische Kompetenzen
Niemand käme auf die Idee, an Mittelschulen Lehrende anzustellen, die über keinerlei pädagogisch didaktische Ausbildung verfügen. An Hochschulen wird Studierenden zugemutet, sich mir Lehrenden auseinanderzusetzen, die kaum pädagogisch didaktisches Wissen und wenig bis keine reflektierte Erfahrung mitbringen. Zumeist reproduzieren diese Lehrenden das Muster von Wissensvermittlung, wie sie es als Studierende erlebten, auch wenn das nicht selten einige Jahrzehnte zurückliegen mag. Bei jüngeren Lehrenden habe ich schon erlebt, dass sie angepasste Folien aus ihrer eigenen Studienzeit verwenden.
Festzuhalten ist: Nicht zwangsläufig sind erfolgreiche Manager auch erfolgreiche Lehrende (und vice versa) – Obwohl auch hier gelten mag, dass Ausnahmen die Regel bestätigen können.
Unzureichende oder fehlende Fortbildungsangebote
Das Thema Fortbildung wird an Fachhochschulen sehr unterschiedlich gehandhabt. Manche bieten beispielsweise für Lektor*innen, die erstmals an der Fachhochschule lehren (unabhängig, ob sie auch schon an anderen gelehrt haben) Fortbildungen an, in welchen über Hardfacts bis hin zur Abrechnung ebenso informiert werden, wie über Usancen der Lehrveranstaltungsgestaltung, Verwendung von Lehr- und Lernplattformen usf. Und es gibt Fachhochschulen, die für nebenberuflich Lehrende auch kontinuierliche Fortbildungsangebote bereitstellen.
Dann gibt es aber auch Fachhochschulen, in welchen das offenbar nicht zentral geregelt ist und zumeist die Studiengangsleitung Lektor*innen, die schon länger tätig sind, bittet, sich um die Neuen anzunehmen und sie zu unterstützen. Diese doch eher hemdsärmlige, improvisiert Herangehensweise ist jedoch zumeist für alle Beteiligten belastend und nicht zufriedenstellend.
Hier wäre es dringend erforderlich Neueinsteigern strukturiert und gut aufbereitet Informationen und Coaching seitens der FH oder des Studiengangs anzubieten.
In 12 Jahren nebenberuflicher Lehrtätigkeit wurden mir nie, selbst trotz wiederholter Nachfrage, Fortbildungen angeboten. Es gibt offenbar nicht an allen Fachhochschulen und nicht an allen Studiengängen so etwas wie Personalentwicklung. Dort gibt es erhöhten Handlungsbedarf.
Unzureichendes oder fehlendes Feedback der Studiengangsleitung
Zumeist sind Curricula so allgemein gehalten, dass sie zur Zielvereinbarung für einen Lehrauftrag nicht wirklich ausreichen. Dazu kommt, dass Curricula laufend der Praxis nachgezogen werden, ohne dass dies ausreichend transparent gemacht würde. So kommt es immer wieder vor, dass Inhalte bereits in anderen Lehrveranstaltung vermittelt wurden oder gleichzeitig vermittelt werden und bei Studierenden der Eindruck von Redundanz entsteht.
Vor zwölf Jahren gab es noch mündliche Vorbesprechungen mit der Studiengangsleitung und auch zwischendurch Nachfragen.
Später hieß es, dass bei geteilten Kursen die jeweiligen Lektor*innen sich untereinander absprechen sollten, damit der Lehrstoff, der Anforderungsgrad, die Leistungsbeurteilungen und die Workload vergleichbar wären. Zumeist schaltete sich die Studiengangsleitung nur ein, wenn Studierende sich ereiferten, dass ihre Kolleg*innen im anderen Kurs entweder weniger Workload hätten, bessere Noten bekämen oder ganz einfach immer schon eine Viertelstunde früher gehen dürften.
In den letzten Jahren gab es gemeinsame Besprechungen von Studiengangsleitung und Lektor*innen mit dem Ziel, die Lehrveranstaltungen weitestgehend zu synchronisieren. Dabei wurden PowerPoint Vorlagen, Inhalt und Umfang von Übungen angeboten sowie Beurteilungsraster weitgehend vorgegeben.
Das Maß an Harmonie der Lektor*innen untereinander und die Lehrveranstaltungsevaluationen scheinen in die Zufriedenheitsbilanz der Studiengangsleitung eingegangen zu sein. Ein abschließende gemeinsame Evaluation hat es nicht gegeben, auch früher nicht.
Das Fehlen klarer Zielvorgaben und strukturierter Evaluationen verhinderte eine kontinuierliche Qualitätsverbesserung, was insbesondere für Lektor*innen herausfordernd ist, da diese i.d.R. nur zu den Lehrveranstaltungen an die Fachhochschule kommen und wenig Austausch mit der Studiengangsleitung haben. So ist es auch schwierig zu einer informellen Einschätzung zu kommen.
Unzureichende Rahmenbedingungen bei semesterbezogenen Verträgen
Verträge mit Lektor*innen werden beispielsweise an der Fachhochschule Oberösterreich für die Dauer jeweils eines Semesters abgeschlossen, im Wesentlichen beschränkt auf die Vorlesungszeit. Anders als noch vor Jahren bleibt nun sehr häufig offen, ob es bei einem einmaligen Engagement bleibt oder ob es im Turnus für die Lehrveranstaltung Folgeaufträge geben wird.
Angesichts des hohen Aufwands, den es bedeutet, eine anspruchsvolle Lehrveranstaltung auf Basis von curricularen Vorgaben zu entwickeln, dabei die eigene Fachkompetenz einzubringen und das alles in einer didaktisch zufriedenstellenden „Performance”, ist diese Praxis unvorteilhaft. Der hohe Setup-Aufwand ist für ein Semester unverhältnismäßig. Wer also davon ausgehen muss, dass die Lehrverpflichtung ein einmaliges Ereignis bleiben könnte, wird den Setup-Aufwand entsprechend gestalten, um Aufwand und Ertrag in ein verträgliches Verhältnis zu bringen. Auch wenn nebenberuflich Lehrende im Regelfall nicht auf das Einkommen als Lektor*innen angewiesen sind, hat jede Leistung doch ihren Preis. Damit sinkt die Attraktivität sich und seine Kompetenz hier einzubringen.
Mit anderen Worten, die beschriebene Praxis wirkt sich negativ auf die Qualität von Lehrveranstaltungen und das Engagement von Lektor*innen aus.
Problematisch ist eine Entwicklung zu sehen, in welcher „neuen” Lektor*innen Foliensätze, Übungen etc. bereitgestellt werden, um eben diesen Setup-Aufwand möglichst gering zu halten. Es ist kontraproduktiv Fachleute aus der Praxis zu holen und diesen dann irgendwelche Textbooks anzubieten, nach welchen sie die Lehrveranstaltung durchführen sollen. Immerhin ist eines der sog. Alleinstellungsmerkmale von Fachhochschulen und insbesondere für die Auswahl von Lektor*innen, dass erfahrene und kompetente Fachleute aus der Praxis ihr Wissen einbringen.
Ebenso problematisch ist eine Entwicklung zu sehen, in welcher für zunehmend viele Lektor*innen das Einkommen aus Lehrverpflichtungen zum Haupteinkommen wird und diese Tätigkeit zur maßgeblichen beruflichen Tätigkeit wird. Es werden Lehrveranstaltungen speziell so entwickelt, dass sie mit relativ verträglichem Aufwand an unterschiedlichen Fachhochschulen und dort an verschiedenen Studiengängen angeboten werden können, auch für Bereiche, in welchen die berufliche Expertise nicht in einem Umfang nachgewiesen werden kann, wie dies erforderlich wäre.
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Editionsgeschichte
Eingetragen von Dr. Conrad Lienhardt am 18.10.18 in Bildungspolitik, Lehrveranstaltungen, Didaktik – Last touched: 18.04.22 – Contents updated: 18.04.222 Kommentare, 1 webmention
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Kommentar von: Emil Wanko

Gibt es denn an dieser Fachhochschule keinen Betriebsrat? Oder werden Lektoren dort nicht vom Betriebsrat vertreten?
Kommentar von: Bettina

Die Rahmenbedingungen für LektorInnen sind nirgendwo in Österreich besonders rosig, aber das, was Sie hier schreiben ist doch krass. Da siehts an meinen Hochschulen doch deutlich besser aus.
Übrigens; für alle LektorInnen und WissenarbeiterInnen, die das noch nicht kennen: http://www.ig-elf.at/ Beitreten lohnt sich, zumindest in die Mailingliste solltet Ihr Euch eintragen. Lohnt!
https://www.npo-consulting.net/blogs/lector.php/pruefungspraxis-an-hochschulen-bad-practice
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