Knowing vs Understanding
Ins Deutsche wird ‚Knowing’ [nicht zu verwechseln mit ‚Knowledge’] u.a. mit ‚Kennen’, ‚Können’ übersetzt, fallweise auch mit ‚Wissen’. Auch die Übersetgung von ‚Understanding’ mit ‚Verstehen’ ist etwas unscharf. Wenn in englischsprachigen Blogs zur Didaktik und Pädagogik darüber geschrieben und diskutiert wird, ist meist nicht von vornherein klar, wie das im Deutschen zu interpretieren ist.
Michael Row hat zu ‚Knowing vs. Understanding’ folgendes geschrieben:
Students who know can:
- Recall facts
- Repeat what they’ve been told
- Perform skills as practiced
- Plug in missing information
- Recognize or identify something that they’ve been shown before
Whereas students who understand can:
- Justify a claim
- Connect discrete facts on their own
- Apply their learning in new contexts
- Adapt to new circumstances, purposes or audiences
- Criticize arguments made by others
- Explain how and why something is the case
Ein ‚versus’ sehe ich nicht. Vielmehr geht es doch darum, ‚Knowing’ als wichtige Grundlage von ‚Understanding’ zu verstehen.
In der Praxis des (hoch)schulischen Kontextes steht ‚Knowing’ im Vordergrund - nicht nur, weil das bei Massenveranstaltungen leichter zu handhaben ist, sondern auch weil Schüler und Studierende selbst dahin drängen.
Sie wollen den genauen Prüfungsstoff umrissen haben - bei umfangreicher Literatur mit genauen Seitenangaben, zum Lernen gut strukturierte Unterlagen zur Verfügung gestellt bekommen und das alles möglichst in einem Umfang, der angesichts überfüllter Studienpläne, Projekte etc. auch ‚erlernbar’ ist. Das führt zu einem Vorrang des ‚Recall facts’ und ‚Repeat what you've been told’.
‚Understanding’ ist keine zwangsläufige Folge von ‚Knowing’
‚Understanding’ ist mehr als die Summe gelernter Fakten und angeeigneter Fertigkeit und stellt sich auch nicht zwangsläufig als emergenter Outcome ein.
‚Understanding’ ist ein aktiver und nicht selten mühsamer Prozess und meist zeitaufwändig. Da sind ein gutes Gedächtnis und die Fähigkeit, sich Informationen schnell einprägen zu können, hilfreich, aber nicht ausreichend. Es braucht dazu mehr.
Ängstliche Studierende, denen bspw. in ihrer Erziehung kommuniziert wurde, dass sie eigentlich nichts können und dies als Skript verinnerlicht haben, werden sich schwerer tun, eigenständige Positionen nach außen hin zu vertreten und zu verteidigen, andere auf mögliche Fehler hinzuweisen oder den eigenen Beitrag in seiner Wertigkeit unbelastet zu sehen. Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeit sind daher wichtige Voraussetzungen für ‚Understanding’.
‚Understanding’ als ein zentrales Ziel akademischer Ausbildung
Eine Ausbildung, die in erster Linie auf Fertigkeiten (Skills) abzielt, Erlerntes in der Praxis anzuwenden und damit eine klare Präferenz bei ‚Knowing’ setzt, braucht nicht zwangsläufig eine akademische zu sein. ‚Knowing’ kann in Lehrberufen ebenso erworben werden wie in speziellen beruflichen Fortbildungsprogrammen und zahlreichen anderen (Fort-)Bildungsangeboten, die die Bildungsindustrie abseits ihres Sonderfalls der akademischen Ausbildung anbietet.
Akademische (Aus-)Bildung muss über ‚Knowing’ hinaus gehen. ‚Understanding’ ist eine nächste zentrale Qualität, die es zu erlangen gilt. Dabei bleibt ‚Understanding’ akademischer Bildung nicht vorbehalten. Es gab und gibt viele nicht akademische Ausbildungen, deren Anspruch ebenfalls über bloßes ‚Knowing’ hinausgeht.
Erstmals veröffentlicht am 7.4.2014, überarbeitet am 12.8.2016