Das Versagen der Bildungspolitik in Österreich
Immer wieder empören sich Österreicher:innen über die Forderung seitens Wirtschaft und Politik mehr Facharbeiter:innen aus dem Ausland ins Land zu holen, während in Österreich selbst neben einer relativ hohen Arbeitslosigkeit viele Arbeitssuchende zu wenig qualifiziert sind, um die Nachfrage nach Facharbeiter:innen bedienen zu können. Dabei übersehen die meisten, dass dies eine Folge einer verfehlten Bildungspolitik ist. Ausländische Arbeitskräfte sind nicht für die Situation verantwortlich.
Bildungsdefizite und Arbeitsmarkt
Bedenkt man, dass in einem der teuersten Bildungssysteme der Welt allein bei Pflichtschulabgänger:innen rund 40 Prozent der Absolvent:innen nicht befriedigend lesen, schreiben und rechnen können, viele darunter sogar zu den funktionalen Analphabeten zu zählen sind, dann erstaunt es nicht, dass diese Pflichtschulabgänger Schwierigkeiten haben, eine Lehrstelle zu finden, bzw. bis zum Lehrabschluss durchhalten zu können. Unternehmen wollen und können das Versagen der Bildungspolitik nicht kompensieren, es ist nicht ihre Aufgabe, das Versagen der Bildungspolitik auszumerzen.
Dabei haben Industrie und Unternehmen keinen geringen Anteil an dieser besorgniserregenden Entwicklung. Kostenminimierung in der - zumindest bis Anfang der Zehnerjahre - komfortablen Situation, aus mehreren Bewerber:innen auswählen zu können, hat viele Unternehmen dazu verleitet, Lehrstellen abzubauen, in einigen Fällen den Lehrbetrieb sogar einzustellen. Sie haben sich auf den Staat verlassen, darauf, dass man bei Bedarf auch bereits gut ausgebildete „Gastarbeiter” anwerben könne.
Um den Erfolg des Bildungssystems - welch ein Selbstbetrug - anschaulich zu machen, wurden die Leistungsanforderungen abgesenkt. Ein „Sitzenbleiben” war politisch zunehmend unerwünscht. Das bezieht sich nicht nur auf die Elementarbildung, sondern bezieht sich über den sekundären mittlerweile bis in den tertiären Bildungsbereich. Immer mehr Maturant:innen bringen erforderliche Voraussetzungen für ein Hochschulstudium zunehmend häufig nicht mehr mit. Das ist Folge einer politisch gewollten Akademisierung der Bevölkerung, mit dem Ziel, die durchschnittliche OPEC Akademiker:innenquote zu übertreffen. Das politische Heilsversprechen: Jeder, der will, soll studieren können und Akademiker:in werden können. Die Folge davon: Es gibt seit den 70er Jahren ein Mehrfaches an Akademiker:innen in Österreich, die großteils die Anforderungen des Arbeitsmarktes nicht oder unzureichend erfüllen, sei es, dass die Zahl an Orchideenfächern nahezu explodierte, sei es, dass durch Senkung der Leistungsanforderungen das Bildungsniveau und damit die durchschnittliche Kompetenz gesunken sind - nicht jedoch das Selbstbewusstsein.
Statt einer Korrektur der gravierenden Fehlentwicklungen im österreichischen Bildungssystem, um in zehn bis zwanzig Jahren die Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften, insbesondere auch nicht akademisch gebildeten Fachkräften decken zu können, entwickelt man Programme, wie man aus anderen Ländern diese nach Österreich holen kann.
Aber auch diese Strategie wird schwerlich aufgehen, solange Österreich seine Doppelbotschaft hegt und pflegt: Vorurteile gegen Fremde bis hin zu Ausländerfeindlichkeit, wie sie durch im Parlament vertretene Parteien kultiviert werden und das Schönreden Österreichs als Arbeitsparadies für hoch qualifizierte Ausländer, schrecken wirklich qualifizierte Arbeitskräfte eher ab.
Diese Form der kurzsichtigen Kompensation gravierender Fehlleistungen in der Bildungspolitik ist noch dazu völlig unsolidarisch. In anderen Ländern, mit teilweise höheren Bildungsstandards als in Österreich, führt der Exodus gut ausgebildeter Staatsbürger:innen zu einem kaum kompensierbaren Fachkräftemangel. Das heißt, dass Österreich das eigene Problem zulasten anderer Länder zu lösen sucht. Dass diese Umgehungspolitik letztlich scheitern muss, scheint die gegenwärtige Politik ebenso wenig zu interessieren, wie es das in den vorangegangener Jahren tat.
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