Liegt es am Arbeitsmarkt, der Bildungsindustrie oder woran sonst?
Wozu braucht Österreich eine Akademikerquote von 38+ Prozent?
Die neueste OECD Studie "Education at a Glance 2014" hat die Diskussion um die Akademikerquote im hiesigen Blätterwald erneut entfacht. Fast möchte man meinen, es handle sich um einen Reflex, wie auch im Gefolge der Bekanntgabe der PISA Ergebnisse.
Für ein Drittel aller Jobs würde, so die Prognose, 2033 ein Studienabschluss erforderlich sein - laut Salzburger Nachrichten (Eine Strategie für höhere Bildung, 30.09.14, 10). Für Österreich sei das eine Herausforderung, da das Land mit knapp 20 Prozent Akademikeranteil "weit abgeschlagen auf den hinteren Rängen" rangiere. Der OECD Durchschnitt liege bei 38 Prozent.
Immer wieder und in immer kürzen Abständen kursiert der Imperativ (oder sollte ich sagen: Optativ?): Mehr Akademiker braucht das Land. Begründet wird das i.d.R. mit Verweis auf Statistiken und von diesen getriebenen Studien.Warum eine Volkswirtschaft wie die österreichische einen so hohen Akademikeranteil braucht, um im Wettbewerb international bestehen zu können, bleibt ausgespart. Dabei rittern wir ja nicht um Titel, sondern um eine hervorragende Wettbewerbsposition - und auch diese ist letztlich kein Selbstzweck.
Österreich ist wirtschaftlich erfolgreich. Diesen Erfolg haben nach dem Krieg Generationen mit deutlich geringerem Akademikeranteil aufgebaut. Auch heute werden viele sehr erfolgreiche Unternehmen von Menschen geführt, die keine akademische Ausbildung erfahren haben und für deren Erfolg diese offenbar auch nicht erforderlich war.
Fehlende Aufstiegsdynamik in Österreich
Wer studiert und auf einen guten Abschluss hinarbeitet tut dies i.d.R. mit Blick auf eine strahlende Karriere, für deutlich bessere Aufstiegschancen und nicht nur für ein höheres monatliches Einkommen, sondern auch für ein höheres Lebensarbeitseinkommen. Das zu erreichen ist aber keineswegs ausgemacht und schon gar kein Selbstläufer.
Lisa Nimmervoll kritisiert in Ihrem Der Standard Artikel "Sozialer Aufstieg ist in Österreich besonders schwer" die geringe "Aufwärtsmobilität", insbesondere für Frauen. Sie streicht jene Aussage des OECD Reports hervor in der es darum geht, dass es in kaum einem anderen Land so schwer ist "nach oben zu kommen".
Ob mit oder ohne Studienabschluss, ohne "die richtigen Freunde" läuft kaum eine Karriere. Vitamin B, oder Seilschaften nannte man das noch vor einiger Zeit, politisch korrekt heißt es nun Netzwerk.
Viel wahrscheinlicher ist folgendes Szenario. Immer mehr Österreicher_innen brauchen einen Studienabschluss, um für dieselben Leistungen, die vor wenigen Jahren noch ohne Studium bestens bewältigt werden konnten und die faktisch keine akademische Ausbildung erfordern, das Einkommensniveau ihrer Eltern zu erreichen. Das wird laut Studien den meisten nicht mehr gelingen. Was eine britische Studie für den englischen Mittelstand zeigte, gilt auch für Österreich: "Mittelschichtskinder werden ärmer als ihre Eltern." Die "Einkommenseliten" werde auch künftig unter sich bleiben und die Ausnahmen, die es hie und da geben mag, werden die Regel wohl nur bestätigen.
Selbstbeschädigung
Ein Beispiel: Absolvent_innen einer HTL (Höhere Technische Lehranstalt) waren immer sehr begehrt und sind es nach wie vor. Trotz guter Arbeitsangebote und ausreichender Nachfrage setzten jedoch viele ihre Ausbildung im Rahmen einer Hochschule fort. Weitere 5 Jahre bis zum M.A. Diese fünf Jahre werden die meisten in ihrem Lebensarbeitseinkommen nicht mehr aufholen können - so sie nicht berufsbegleitend studieren. Gar nicht so wenige HTL Absolventen sind fachlich besser qualifiziert als viele Bachelor Absolventen derselben Fachrichtung mit anderem Bildungshintergrund.
Es ist jedoch zu erwarten, dass Unternehmen HTL Absolventen mit Hochschulausbildung gegenüber HTL Absolventen ohne Hochschulausbildung bevorzugen werden, selbst wenn sich diese hinsichtlich ihrer faktischen Qualifikation nicht unterscheiden sollten. Entsprechend wird dieser Trend à la longue zu einer Abwertung der über die österreichischen Grenzen hinaus geschätzten Ausbildung führen.
Dazu kommt, dass HTL Absolventen mit anschließender Hochschulausbildung deutlich später auf den Arbeitsmarkt gelangen. In der Regel werden sie dort mit Aufgaben beschäftigt sein, die sie auch ohne Studium erfolgreich bewältigen könnten. Das macht auch volkswirtschaftlich nicht besonders viel Sinn.
Cui bono?
Es stellt sich die Frage, warum das so ist. In den meisten Fällen sind Dinge so wie sie sind, weil jemand davon profitiert.
Bildung hat sich schon längst zu einem sehr lukrativen Geschäft entwickelt. Ein regelrechte Bildungsindustrie ist seit den 70ern entstanden. Sie nährt die Fama, dass es formale Ausbildung, zumal Hochschulausbildung braucht, damit Österreich den Wohlstand sichern kann. Das ist ein mehrere Milliarden schwerer Markt. Würde man sich die Mühe machen, die Wertschöpfungsketten im Bereich der Bildungsindustrien zu analysieren, käme man auf erstaunlich Ergebnisse. Dieser Markt ist hungrig und die Bildungsanbieter betreiben gehörig Lobbying und Marketing.
Wer aber braucht so viele Psychologen, so viele Betriebswirte, Volkswirte, Marketingexperten, Theaterwissenschaftler, Juristen, akademische Künstler …? Sind sie jedoch einmal am Markt, werden diese Gruppen versuchen ihre Interessen wahrzunehmen, um sich am Leben zu erhalten. Da versuchen bspw. Psychologen, die keine Ausbildung als Psychotherapeuten haben, gesetzlich geregelt den Markt der Psychotherapeuten zu übernehmen - von welchen viele hervorragende Ausbildungen genossen, wenngleich nicht zwingend Hochschulausbildung. Unserer Gesellschaft wir zunehmend juristisch reglementiert, denn zu was bräuchte man so viele Juristen, wenn Gesetze klar und nachvollziehbar formuliert wären, usf. Es ist nachvollziehbar, dass alle Absolventen in Ihrer Profession ein Auskommen mit einem Einkommen finden wollen. Eine zunehmende Zahl wird sich jedoch im Prekariat oder der Selbstausbeutung wiederfinden.
Derzeit produzieren wir in vielen Bereichen Akademiker, für die der Markt im Wesentlichen keine Verwendung hat. Viele junge Menschen investieren in eine Ausbildung für die es keine ausreichende Nachfrage am Markt gibt und damit zu wenig Stellen und ob der großen Nachfrage auch noch schlecht bezahlte Stellen. Sie bilden das künftige Akademiker-Proletariat - gut ausgebildet und billig zu haben. Stichwort dazu: Generation Praktikum.
Wem nützt es. Könnte diese Situation langfristig und gesamtgesellschaftlich betrachtet überhaupt jemandem nützten? Ich bin noch nicht dahinter gekommen, auf welche Weise das geschehen sollte.
Was dringend nötig wäre
Anstelle eines absurd anmutenden Wettbewerbs hinsichtlich Akademikerquoten sollte sich Bildungspolitik in erster Linie darum kümmern, dass die Zahl der Analphabeten reduziert wird, und zwar sowohl der Primäre wie der Sekundäre und der Semi-Analphabethismus. Wer Lesen und Schreiben nicht beherrscht ist von vielen gesellschaftlichen Vollzügen ausgeschlossen, ist diskriminiert und hat mit einer statistisch kürzen Lebenserwartung zu rechnen.
Ähnlich geht es jenen, die über keinen ordentlichen Schulabschluss verfügen, keine Lehre abschließen konnten und häufig Schwierigkeiten mit Lesen, Schreiben und Rechnen haben. Immer noch brechen gut 10Tausend Jugendliche Ihre Ausbildung ab. Auch sie zählen zu den Verlierern am Arbeitsmarkt.
Hinzu kommt die große Herausforderung zum einen, hervorragend ausgebildete Migranten möglichst schnell zu integrieren und diesen den Arbeitsmarkt ohne Beschränkungen zugänglich zu machen. Zum anderen müssen Migranten mit unzureichendem Bildungshintergrund im Zuge der Integration auch schulisch best möglich ausgebildet werden. Viele junge Menschen sind mit goßen Hoffnungen nach Österreich gekommen. Sie wollen ihre Zukunft gestalten und ihre Situation verbessern. Viele sind ausreichend motiviert. Bei einer entsprechenden Integrations- und Bildungspolitik könnte ihnen eine wirtschaftlich unabhängige Zukunft geboten werden, in dem sie dem Arbeitsmarkt zugeführt werden.
Es gibt eine stark wachsende Zahl von Menschen, die durch die Schnelllebigkeit vor allem im Bereich Technologie überfordert sind. Viele davon könnten, auch wenn sie wollten, nicht wie vorgesehen länger arbeiten. Sie sind nicht mehr in der Lage, den immer schnelleren Entwicklungszyklen und damit verbundenen gravierenden Änderungen an ihrem Arbeitsplatz zu folgen. Die so betroffenen fühlen sich allein gelassen und einem enormen Druck ausgesetzt. Nicht vergessen erden darf dabei, dass mit zunehmendem Alter in vielen Fällen die kognitive Leistungsfähigkeit nachlässt. Es macht also keinen Sinn diese Menschen in dieselben Fortbildungen zu schicken wie deutlich Jüngere. Es kann auch nicht sein, dass die Wirtschaft für viele von ihnen keinen wirklichen Bedarf sieht. nur weil Lösungen nicht auf der Hand liegen.
Was es dringend braucht: Es gehört verdeutlicht, dass Bildung und formale Ausbildung nicht synonym sind, dass es keiner Hochschuldbildung und keines akademischen Titels bedarf, um gebildet zu sein und dass ein akademischer Grad noch lange nichts über die Bildung seines Träger aussagt, sondern zunächst nur über dessen formale Ausbildung. Sodann bräuchte es für die formale Ausbildung eine klare marktgerechte Ausrichtung - nicht kurzfristig, sondern strategisch. Dies gehört umfassend transparent gemacht. Niemand soll im guten Glauben an eine vergoldete Karriere ein Studium beginnen, ohne realistitische Aussichten auf eine auskömmliches späteres Einkommen.
Das Problem ist nicht neu: Ich war als Hochschulassistent zusammen mit dem Arbeitsamt im Bereich Fachstudienberatung tätig. Und da ist mir etwas in deutlicher Erinnerung geblieben: Mitte der 80er Jahre gab es in Deutschland bereits 4000 promovierte Langzeitarbeitslose, darunter nicht wenige, die mit Summa cum Laude promoviert hatten.
Lesenswert:
- Kurze Zusammenfassung der Ergebnisse der OECD Studie "Education at a Glance 2014" in der Die Presse
- Liessmann, Konrad Paul (2014), Die Bildungsexperten. In derStandard.at URL=http://derstandard.at/2000005532943/Die-Bildungsexperten [Zugriff 03.10.2014]
- Siehe meine Beiträge zu diesem Thema
Editionsgeschichte
Eingetragen von Dr. Conrad Lienhardt am 07.10.14 in Bildungspolitik, Bildungspolitik – Last touched: 07.10.16 – Contents updated: 07.10.162 Kommentare
Kommentar von: Conrad Lienhardt

Kommentar von: Marianna Jelinek

ich seh diese Entwicklungen auch kritisch und find es beispielsweise erschreckend, wie die Lehre in der öffentlichen Wahrnehmung verkommt. Es reicht nicht eine Lehre als Mechatroniker o.Ä. erfolgreich absolviert zu haben, es zählt dann nur Lehre mit Matura - wenn überhaupt Lehre. Das führt dazu, dass junge Menschen in Schulen gedrängt werden, wo sie eigentlich nichts zu suchen haben, nur um die Hochschulreife zu erlangen und Firmen, die Lehrlinge suchen, kaum welche finden, die 2+2 rechnen können (weil die, die 2+2 rechnen können, ja wieder Matura machen müssen).
7 Prozent der Jugendlichen zwischen 18 und 24 Jahren brechen ihre Schulausbildung ab.
Lt. SN (SN,10.10.14, 1,3) sei das im internationalen Vergleich gering. Nun; ich denke, dass 7 Prozent Schulabbrecher eine größere Herausforderung darstellen, als die Akademikerquote weiter zu erhöhen. In letzterem Fall genügt es, die Ansprüche und Anforderungen zu senken.
Bei den Schulabbrechern geht es nicht nur um die hohen Kosten (bis zu 93 Mia. EUR), die die Gesellschaft für die Mitverantgwortung an diesem Fiasko zu tragen hat, sondern um Lebensentwürfe, die ganz zu Beginn bereits in Schwierigkeiten stecken.
Indiskutabel ist es in meinen Augen von diesen jungen Menschen als der “verlorenen Generation” zu sprechen. Das ist nicht nur politisch unkorrekt, sondern schlichtweg anmaßend und dumm.