Performanz – Die Nagelprobe des Studienerfolgs
Das ist eine der zentralen Aussagen eines Vortrags im Rahmen des ExpertInnenforum Hochschuldidaktik: Kompetenz könne nicht geprüft werden. Was tatsächlich geprüft werden kann, ist die Performanz von Studierenden. Für Guy Le Boterf ist Kompetenz entsprechend immer nur potenzielle Performanz. Ein interessanter Ansatz. Das führt zu folgenden Überlegungen:
Vorklärungen: Inputs, Verständnis, Wissen
Das „Abprüfen” von sogenannten ‚Inputs’
Relativ leicht lässt sich prüfen, ob vermittelte Informationen (zumeist PowerPoint Folien) reproduziert werden können. Darauf beschränken sich viele Klausuren, so nicht zur Gänze, dann doch über weite Strecken. Wer ein gutes Gedächtnis hat oder entsprechend viel Zeit in repetitives Lernen investieren kann, wird bei solchen Klausuren erfolgreich sein, selbst dann, wenn die Informationen selbst nicht verstanden wurden. Die Resultate solchen Lernverhaltens sind flüchtig. Dennoch glauben viele Studierende, dass gute Noten für Reproduktion etwas mit Kompetenz zu tun hätten.
(Beispiel: Der Studierende lernt die Formel für Abzinsung. Er kann sie, danach gefragt, reproduzieren und weiß, wenn er die Formel sieht, dass es sich um die Formel für Abzinsung handelt. Er kann, so das in den Unterlagen entsprechend deutlich hervorgehoben wurde, die Variablen der Formel benennen. Womöglich weiß er noch, dass der Begriff Diskontierung dasselbe meint. Mehr nicht. )
Die Verständnisprüfung
Klausuren, die nicht auf Reproduktion vermittelter Informationen abstellen, sondern prüfen wollen, ob diese Informationen auch verstanden wurden, sind schon etwas kniffliger. Der Studierende muss Informationen nicht nur reproduzieren können, sondern er muss sie auch verstanden haben. Er muss in der Lage sein, über erlernte Musterbeispiele hinaus, für ähnlich gelagerte Fälle die erlernten Inhalte (~verarbeitete Informationen) anzuwenden.
(Beispiel: Der Studierende kennt die Formel für Abzinsung und kann die einzelnen Variablen nicht nur benennen, sondern auch erläutern, was sie bedeuten. Er hat verstanden, wozu die Formel genutzt wird und kann entsprechende Aufgaben lösen, selbst dann, wenn die Klausuraufgabe nicht identisch mit einer Musterlösung ist, die sich in den Lernunterlagen befindet.)
Überprüfung von entwickeltem Wissen
Selbst wenn Studierende Informationen nicht nur wiederholen können, sondern diese auch verstanden haben, folgt sich nicht zwangsläufig daraus, dass sie entsprechendes Wissen entwickeln konnten. Ich spreche bewusst von ‚entwickeln’ und nicht von ‚erwerben”, weil ‚entwickeln’ meines Erachtens eine deutlich aktivere Haltung voraussetzt. Wissen beweist sich bspw. darin, dass Studierende in einem Fallbeispiel eigenständig erkennen können, ob und in welcher Weise die angeeigneten und verstanden Informationen und Inhalte eingesetzt und genutzt werden können, ohne dass dies ausdrücklich vorgegeben oder angeleitet werden muss.
(Beispiel: Der Studierende wird mit der Aufgabe konfrontiert, evaluieren zu müssen, ob eine Kampagne zur Neukundengewinnung bezogen auf die dadurch erzielten Kundenumsätze in einen mehrjährigen Betrachtungszeitraum rentabel war - ohne expliziten Hinweis auf die Erfordernis zur Auf- bzw. Abzinsung.)
Vom ‚Kompetenzerweb’ an Fachhochschulen
Unternehmen, und bevorzugt für Sie bilden Fachhochschulen aus, erwarten, dass Studienabsolventen nicht pseudodozieren, das heißt Erlerntes zum Besten geben, sondern ihr Wissen im Unternehmen aktivieren und anwenden können, um damit zum Unternehmenserfolg beizutragen. Kein Unternehmen geht davon aus, dass Absolventen erforderliche Kompetenzen von vornherein mitbringen. Das wäre von Hochschulen nicht zu leisten. Jedoch werden Grundkompetenzen erwartet und vor allem die Fähigkeit Kompetenzen kontinuierlich weiterzuentwickeln, um die gestellten Aufgaben effektiv und effizient erfüllen zu können. Um den unternehmensspezifischen Anforderungen gerecht werden zu können, werden Absolventen in vielen Unternehmen folglich mittels spezieller Trainee- und Fortbildungs-Programme eingearbeitet.
Was meint Hochschul-Didaktik, wenn sie von Kompetenz spricht?
„Im wissenschaftlich-akademischen Kontext ist Kompetenz als Befähigung zu definieren, in Anforderungsbereichen, die durch hohe Komplexität, Neuartigkeit und hohe Ansprüche an die Lösungsqualität gekennzeichnet sind, angemessen, verantwortlich und erfolgreich zu handeln. Die Befähigung zu einem solchen Handeln beinhaltet integrierte Bündel von komplexem Wissen, Fertigkeiten, Fähigkeiten, motivationalen Orientierungen und Werthaltungen in Bezug auf die Anforderungsbereiche.”
Ist dieser Anspruch einlösbar?
Am Anspruch dieser Definition gemessen, wird schnell klar, dass das Bachelor-Studium daran scheitern muss, so etwas wie Kompetenz als Outcome nach 6 Semestern und 180 ECTS Input zu erreichen. Pragmatisch sollte man sich glücklich schätzen, wenn Absolventen ein einigermaßen grundlegendes Wissen zum Studienfach erworben haben und dies zumindest ansatzweise anwenden können.
Das ist es auch, worauf viele Bildungsbetriebe den Anspruch der ‚Kompetenzentwicklung’ reduzieren: auf die Fähigkeit, angeeignetes Wissen anzuwenden, bzw. wie es die TU München als didaktisches Grundprinzip in der Kompetenzorientierung formuliert, „Wissen in Handeln zu überführen.”
Performanz – Das ist es, was geprüft werden kann
Kompetenz, im eingeschränkten Sinne als ‚Fähigkeit Wissen in Handeln zu überführen’ wird am Handeln sichtbar, sprich an der Performanz. Entsprechend kann letztlich immer nur die Performanz beurteilt werden.
Genau genommen ist dies übrigens auch dort der Fall, wo angeeigneter Lernstoff simpel abgefragt wird. Es kann nicht geprüft werden, was jemand gelernt hat, sondern nur das, was er zu reproduzieren in der Lage ist. Es kann nicht geprüft werden, was jemand weiß, sondern nur das, was er im Moment der Prüfung an Wissen abrufen kann.
Wie könnte die Fähigkeit geprüft werden, ‚Wissen in Handeln zu überführen’?
Anhand angemessen anspruchsvoller Fallbeispiele könnten Studierende im Rahmen von Prüfungen herausfordert werden, das erarbeitete Wissen eigenständig und nicht angeleitet anzuwenden. Solche Fallbeispiele gehen über übliche Verständnis- oder Transferfragen hinaus und fordern nicht nur Studierende, sondern auch Lehrende heraus, denn Fallbeispiele, die das leisten, sind nicht so einfach zu entwickeln. Zudem ist die Beurteilung deutlich aufwändiger als Multiple Choice Tests und übliche Klausuren in ihrem kurzen Frage—Antwort Stil.
In Fallbeispielen müsste es gelingen, die jeweiligen Lehrinhalte so zu integrieren, dass Studierende in der Bearbeitung den Nachweis erbringen können, die Lernziele erreicht zu haben. D.h. aber auch, dass Lernziele insbesondere bei Fachhochschulen handlungsorientiert formuliert sein müssten.
(Beispiel: Der Studierende ist in der Lage mittels bereitgestellter, noch nicht konsolidierter Daten eine Marketing Kampagne zur Neukundenakquise in mehrjähriger Betrachtung zu evaluieren, den Erfolg bzw. Misserfolg der Kampagne kritisch zu argumentieren und Empfehlungen für ähnliche Kampagnen zu formulieren.)
Was braucht es dazu seitens Lehrender und Studierender?
Der Einsatz von Lehrmodellen wie bspw. des ‚Inverted Classroom Model’, resp. ‚Flipped Classroom Model’, die das herkömmliche Lehrmodell gewissermaßen auf den Kopf stellen, könnte die Kompetenzentwicklung deutlich effektiver unterstützen. Studierende setzen sich mit Inputs vorbereitend, eigenständig, aber gut unterstützt anhand ausgearbeiteter und aufbereiteter Unterlagen auseinander. Verständnisprobleme werden in den Präsenzphasen besprochen, diskutiert und geklärt und das Wissen anhand von Fallbeispielen weiter in Richtung Kompetenzerwerb entwickelt. An ein Setting dieser Art würde eine Prüfung mittels Bearbeitung von umfangreicheren Fallbeispielen besser anschließen können.
Conrad Lienhardt