Was ist bei Wiederbetätigung misszuverstehen?
Ein Welser Jurist hat vor Gericht als Anwalt eines wegen Wiederbetätigung Angeklagten Ungeheuerliches von sich gegeben: „Es ist strittig, ob in Mauthausen Vergasungen und Verbrennungen stattgefunden haben. Was man seinerzeit in Mauthausen zu Gesicht bekommen hat, ist eine sogenannte Gaskammer, die nachträglich eingebaut wurde. Unbekannt ist, ob dort jemals eine Gaskammer vorhanden war.” (zit nach SN, 2.11.16)
Noch ungeheuerlicher ist es, dass der im Justizministerium eingerichtete sog. „Weisenrat für Weisungen” intervenierte, als die Welser Staatsanwaltschaft gegen diesen Anwalt Anklage wegen Wiederbetätigung erheben wollte. Der Leiter des „Weisenrats”, Generalprokurator Hofrat Dr. Werner Pleischl, rechtfertigt diese Intervention damit, dass seiner Auffassung nach eine geringe Verurteilungswahrscheinlichkeit bestehe und in solchen Fällen eben keine Anklage erhoben werden dürfe. — Eine nur sehr schwer nachvollziehbare Einschätzung, so man nicht davon ausgehen will, dass nationalsozialistisches Gedankengut bereits weitflächig in die österreichische Justiz eingesickert ist.
Ein Weisenrat, der wohl keiner ist
Vielleicht sollte man angesichts dieses Vorfalls überlegen, ob der Titel „Weisenrat” zutreffend gewählt wurde, als Justizminster Brandstetter den „Weisenrat für Weisungen” eingerichtet hat. Womöglich ist die vorherrschende Bezeichnung „Weisungsrat” ein zutreffender Reflex auf ein Ausbleiben von Qualitäten, die einem Weisenrat üblicherweise zugemessen werden.
Ebenso wäre eine Rückversicherung angeraten, ob die Mitglieder dieses Rates ihren Auftrag richtig verstanden haben. Als Minister Brandstetter 2014 diesen Rat einrichtete, beschrieb er dessen Kompetenzen folgendermaßen:
- Er solle „in Fällen der Befangenheit des Bundesministers, bei Verfahren gegen oberste Organe der ordentlichen Gerichtsbarkeit sowie in Verfahren, in denen eine inhaltliche Weisung gemäß § 29a Abs. 1 StAG erteilt werden soll, in die Entscheidung einbezogen werden.”
- „Der Weisenrat wird sich zu den Erledigungsvorschlägen des Leiters der Strafrechtssektion äußern und gegebenenfalls in nachvollziehbarer Form Empfehlungen abgeben.”
Unverständlich ist, warum Minister Brandstetter grundsätzlich, d.h. ohne eigene Würdigung, Empfehlungen des „Weisenrats für Weisungen” offenbar übernimmt und diese so die Wirksamkeit von Erlässen erlangen können. So nachvollziehbar es sein mag, dass der Justizminister sich nicht nachsagen lassen will, er gebe womöglich parteipolitisch motivierte Weisungen an die Staatsanwaltschaften, so wenig ist es verständlich, dass die Stafette einer doch eher willkürlichen Weisungsbefugnis einfach so an einen „Weisenrat” abgetreten wird und Weisungen letztlich (blind) exekutiert werden. Denn auch ein „Weisenrat” ist nicht frei von parteipolitischen Affekten oder / und ideologischen Verblendungen.
Ein Fall von Rechtsbeugung?
Mag sein, dass eine pragmatische, womöglich ein wenig schlampige Betrachtung der Aussicht auf Verurteilung des Welser Anwalts durchaus zutreffend sein mag und - obwohl ich das nicht glaube und auch nicht glauben möchte - der Welser Anwalt in einem Verfahren frei gesprochen worden wäre. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dass sich die Rechtsprechung einer abseits des Rechts angesiedelten Pragmatik des Faktischen unterwerfen muss. Dieser Fall gehört vor ein Gericht, wie immer das Urteil letztlich ausfallen mag. Es kann doch nicht sein, dass eine verfahrensfremde, gewissermaßen „private” Einschätzung und sei es auch die eines sog. „Weisenrates” in einem Rechtsstaat eine gerichtliche Klärung aussetzen kann. Eine derartige Bevormundung von Gerichten und der Staatsanwaltschaft grenzt m.E. an Rechtsbeugung, auch wenn das pragmatisch gedeckt sein mag. SPÖ Justizsprecher Jarolin spricht von einem „rechtsstaatlich unerträglichen” Vorgang.
Ein Fall von Beihilfe zur Wiederbetätigung und Begünstigung?
Es stellt sich die Frage, ob dieses Beispringen des „Weisenrats für Weisungen” in gewisser Weise nicht als Beihilfe zur Wiederbetätigung zumindest als Begünstigung gewertet werden könnte. Denn letztlich kann künftig jede_r vor Gericht behaupten, was jener Anwalt aus Wels behauptete, ohne Gefahr zu laufen, deswegen nach §3 Verbotsgesetz (VG) beklagt und verurteilt zu werden. Jede_r x-beliebige Nazi und Leugner_in der Verbrechen des Naziregimes – auch in Mauthausen – könnte dasselbe Recht in Anspruch nehmen, das der „Weisenrat” dem Kollegen aus Wels zugestand.
Oder gilt etwa zweierlei Recht? Eines für das Korps der Juristen und das andere für die anderen? Fast möchte man das glauben, erinnert man sich daran, wie schnell Jugendliche, die die Hand zum Hitlergruß heben oder pubertär mit einschlägigen Heil-Rufen Aufmerksamkeit erregen wollen, angeklagt und verurteilt werden, wie bspw. 2012 in Vorarlberg.
Von einer Sonderstellung geht nach Zeitungsberichten in den SN (4.11.2016) der vom Justizministerium bestellte Rechsschutzbeauftragte Gottfried Strasser aus, der meinte, man müsse sehr wohl zwischen einer Privatperson und einem Rechtsanwalt unterscheiden. Nahezu hanebüchen nimmt sich die Begründung aus: Was bei einer Privatperson zweifelsfrei Wiederbetätigung wäre, ist es beim Anwalt im Rahmen einer Verteidigung deshalb nicht, weil dieser solche Formulierung nicht als Privatperson äußere, sondern um die Interessen des Mandanten wahrzunehmen. Eine nur schwer, wenn überhaupt nachvollziehbare Sophistik.
Die ungeklärte Rolle der Rechtsanwaltskammer
Anfänglich wurde in den Medien die Haltung der Rechtsanwaltskammer hervorgehoben, die ankündigte, unabhängig von der Klagsunterdrückung durch den „Weisenrat” ein Disziplinarverfahren gegen den Welser Anwalt einzuleiten. In der Ausgabe vom 4.11. der SN greift nun eine kritischere Betrachtung Platz. Laut Fritz Pessl gehen Insider davon aus, „dass seitens der Rechtsanwaltskammer Druck auf die Entscheidungsträger im Ministerium ausgeübt wurde, da der beschuldigte über beste Kontakte in die Interessensvertretung verfüge". Als Indiz wird angeführt, dass der „Weisenrat” erst spät intervenierte hätte.
Konsequenzen sind gefordert
Per Erlass den Weg der Rechtsfindung durch Rechtsprechung zu beeinträchtigen, zu behindern oder zu unterdrücken, sollte in einem Rechtsstaat grundsätzlich nicht möglich sein. Immerhin gilt in Demokratien das Prinzip der Gewaltenteilung. Das Vertrauen in den Rechtsstaat sollte so groß sein, dass „Weisenräte für Weisungen” oder vulgo „Weisungsräte” und deren Einflussnahme über Erlässe oder Einflussnahmen von Justizministern dieser Art überflüssig sind.
Daher plädiere ich dafür, die Aufgaben und angesichts der Durch-Wink-Praxis des Justizministers die Kompetenzen des „Weisenrates” neu zu überdenken, ggf. den „Weisenrat für Weisungen” aufzulösen, jedenfalls aber die Mitglieder des derzeitigen „Weisungsrates”, die diese Entscheidung mitgetragen haben, zu entlassen. Bei dieser Gelegenheit sollte auch untersucht werden, wer ggf. auf die Mitglieder des „Weisenrates für Weisungen” Druck ausgeübt hat. Es darf kein Makel bleiben.
UPDATE 1 Auch wenn es zu keiner strafrechtlichen Verfolgung kam, verurteilte (lt. SN vom 5.4.2017) die Landespolizeidirektion OÖ den Anwalt zu einer Geldstrafe in Höhe von 500 Euro. Dagegen legte der Anwalt Beschwerde ein. Das Landesverwaltungsgericht OÖ reduzierte zwar die Geldstrafe auf 250 Euro, bestätigte in der Sache aber die Landespolizeidirektion: „Nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer nationalsozialistisches Gedankengut verbreitet hat."
Obwohl die Standesvertretung ursprünglich erklärte, diesen Vorgang intern zu klären, erklärte sie gegenüber den SN: „Ob wir tätig werden, ist eine interne Angelegenheit”. Mit anderen Worten, die Standesvertretung dürfte bis dato in dieser Sache nichts unternommen zu haben. Das wiederum könnte die bestehende Vermutung bestätigen, dass die Standesvertretung die Angelegenheit verlaufen lassen wird.
Aktualisiert am 5.4..2017
UPDATE 2 Wie die SN am 18.10.2018 berichteten, hat die Standesvertretung der Rechtsanwaltskammer Oberösterreich den Anwalt bereits vor Monaten in einem nicht öffentlichen Verfahren nach dem Disziplinarstatut wegen Verletzung der Berufspflichten und Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes zu einer Geldstrafe in Höhe von EUR 10.000 verurteilt.
Aktualisiert am 20.10..2018
Lesen Sie dazu auch die Pressemitteilungen des Mauthausen Komitees, des Clubs der Die Grünen und des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands (DÖW)
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