Das Barock durchgebracht
Unter Verwertungsdruck der Tourismuswirtschaft
Dieser Text beschäftigt sich mit Fragen der Platzierung der Städte Passau und Linz unter dem Aspekt „Barocke Kunst und Kultur im Donauraum“
Die EU Strategie für den Donauraum
Der Frage nachzugehen, warum etwas zum Thema wird oder geworden ist, ist zumeist ähnlich interessant und aufschlussreich wie die Arbeit zum Thema selbst.
Wenn hierzulande gut geförderte und grenzüberschreitende Projekte in Erscheinung treten steht meist eine EU Initiative dahinter. Das ist auch hier der Fall.
Am 21. Januar 2010 beschloss das Europäische Parlament auf Initiative der Europäischen Kommission die Bildung einer Europäischen Strategie für den Donauraum. Dabei sah und sieht das Parlament im Donauraum einen “wichtigen Knotenpunkt zwischen den Programmen der Kohäsionspolitik der EU sowie Programmen für Länder, die Teil der Europäischen Nachbarschaftspolitik sind, und potentielle Beitrittsländer”. [1]
Neben Deutschland, Österreich, der Slowakischen Republik, Ungarn, Kroatien, Serbien, Rumänien,Bulgarien, der Republik Moldau und der Ukraine sind damit auch, wie es heißt, im “breiteren territorialen Kontext […] die Tschechische Republik, Slowenien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro” eingeschlossen.
Die EU spricht von diesem überraschend weit gefassten Donauraum als einer europäischen “Makroregion”.
Die EU Strategie für diese Makroregion Donauraum besteht aus 4 Säulen:
- Anbindung des Donauraums
- Umweltschutz im Donauraum
- Aufbau von Wohlstand im Donauraum
- Stärkung des Donauraums
Diesen vier Säulen sind 11 Themen zugeordnet. Eines dieser Themen ist: “Kultur und Tourismus” und es ist der Säule “Anbindung des Donauraums” zugeordnet.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Zusammenarbeit im Donauraum auf eine lange Geschichte zurückblicken kann: Schon am 30. März 1856 wurde die “Europäische Donaukommission” gegründet. Sie hatte ihren Sitz ursprünglich im rumänischen Galati bevor sie als “Donaukommission” in den 50 Jahren des letzten Jahrhunderts nach Budapest übersiedelte. Das war eine der ersten europäischen Einrichtungen. Erstaunlich ist, dass die Donaukommission mit Bezug auf die Mitgliedsländer und assoziierten Staaten derzeit sogar deutlich über die Makroregion des Donauraums hinausgeht.
Das Passauer Projekt zur EU Strategie für den Donauraum
Im Rahmen dieser Strategie für Europa waren Projektförderungen vorgesehen. Donau auf, Donau ab haben sich daher Länder und Kommunen sowie Organisationen darum bemüht, Förderungen aus diesem “Fördertopf” zu lukrieren.
Entsprechend entwickelte die Stadt Passau im Frühjahr 2011 das Projekt „Barocke Kunst und Kultur im Donauraum“. Mit diesem Projekt erhoffte sich die Stadt Passau lt. Passauer Neue Presse (PNP) vom 5.4.2011 ein „Alleinstellungsmerkmal Barocke Kunst und Kultur im Donauraum” und eine entsprechende Finanzierung dieses Vorhabens durch die EU.
Die Projekt-Homepage der Stadt Passau gibt dazu folgende Auskunft: In bayerisch-österreichischer Zusammenarbeit solle ein Kultur-, Wissenschafts- und Tourismusnetzwerk entstehen. Ziel sei es, die Kenntnis über den Donauraum als Kulturlandschaft des 17. und 18. Jahrhunderts zu vertiefen und die darin ruhenden touristischen Möglichkeiten zu nutzen. [2]
Peter Kratzer, Förderexperte der Stadt Passau, spitzte die Passauer Ambitionen folgendermaßen zu: Es gehe darum, Passau als „die Keimzelle für den Barock im Donauraum“ zu positionieren. Das ist eine sehr überraschende, da weder kunst- noch kulturgeschichtlich gestützte Sichtweise und ein wohl eher dem Stadtmarketing geschuldeter Befund.[3]
Anfänglich hatte man eine “Wiederbelebung der sog. Donau-Schule” überlegt - ein nicht ganz unumstrittener Begriff in der Kunstgeschichte, der sich auf Künstler im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts wie Albrecht Altdorfer, Wolf Huber, u.a. bezog.
Angesichts des 2012 nahenden 350 Jahr “Jubiläums” des Passauer Stadtbrands von 1662 und damit des Aufbaus des barocken Passau hat man sich anders besonnen und sich dem Barocken zugewandt.
Interessant ist, dass sich nahezu zur selben Zeit in Linz die ÖVP in einem Strategiepapier mit diesem Förderprogramm rund um die europäische Strategie für den Donauraum beschäftigte: “Dort muss auch Linz hin: Auf Basis der in der EU-Donaustrategie enthaltenen Handlungsfelder muss sich Linz in die Makroregion einklinken und einbringen.” Eine konkrete Projektidee wurde hier allerdings für den Bereich “Kultur und Tourismus” noch nicht genannt.
Daher bot sich Linz für Passau als idealer Partner für das Projekt „Barocke Kunst und Kultur im Donauraum“ an.
Von der Kavalierstour zum Kulturtourismus
Kultur ist das Salz in der Suppe jedes Städtetourismus, auch von Klein- und Provinzstädten.
Städte zu bereisen, vor allem jene in welchen Fürsten oder Fürstbischöfe residierten, war schon in Zeiten des Barock üblich, wenngleich nicht für jedermann.
So galten die sogenannte “Grand Tour”, wie auch die “Kavalierstour” gemeinhin als “Abschluss der adligen Erziehung und als Einführung in die Welt der europäischen Aristokratie”. [4]
Francis Bacon beschrieb 1625 in seinem ‘Essay of Travel’ was die 16 - 22 Jahre jungen Kavaliere zu seiner Zeit sehen und studieren sollten:
“Was man sehen und studieren soll, sind die Höfe der Fürsten, zumal wenn sie gerade Gesandte empfangen, die Gerichtshöfe, während Sitzungen abgehalten und Rechtsfälle verhandelt werden; im gleichen Fall Kirchenversammlungen; die Kirchen und Klöster nebst den darin enthaltenen Denkmälern; die Wälle und Befestigungen von Haupt- und anderen Städten; desgleichen die Häfen und Buchten; alte Kunstwerke, Ruinen, Büchereien, Hochschulen, Streitgespräche und Vorlesungen, wo es deren gibt; Handels- und Kriegsflotten; Prachtbauten und Lustgärten in der Nähe großer Städte, Rüstkammern, Zeughäuser, Pulverkammern, Wechselbanken, Börsen, Reit-, Fecht- und Kriegsübungen dergleichen mehr; ferner Schauspiele, doch nur solche, welche Leute von Stand zu besuchen pflegen; Schatzkammern für Juwelen und Staatsgewänder; Kunstkammern und Seltenheiten, eben alles, was sonst in den besuchten Orten Merkwürdiges vorhanden ist und wonach die Erzieher oder Hofmeister sich sorgfältig erkundigen sollten. Was Prachtaufzüge, Masken, Festlichkeiten, Hochzeiten, Begräbnisse, Hinrichtungen und ähnliche Schauspiele anbelangt, so soll man den Geschmack daran nicht unnötig wecken, sie jedoch nicht gänzlich außer Acht lassen.” [5]
Eine solche Kavalierstour war für eine einschlägige Karriere nahezu unentbehrlich. Darüber hinaus bildeten sich Geschmack und künstlerische Vorlieben adeliger Auftraggeber in der Regel auf diesen mehrjährigen Kavalierstouren heraus. [6]
Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die den Adeligen vorbehaltene Kavalierstour zunehmend durch Bildungsreisen des seit dem 18. Jahrhundert erstarkenden Bürgertums abgelöst. Nun gingen auch die Kinder wohlhabender Kaufleute, Gewerbetreibender und Bankiers auf Reisen, um ihre Karrieren und ihren gesellschaftlichen Status zu befördern.
Bildungsreisen und gesellschaftliche Distinktion
Bildungsreisen gewannen mit zunehmender Mobilität auch bei erwachsenen, vermögenden Bürgern an Beliebtheit.
Die Reisen führten im Geiste Johann Joachim Winckelmanns und Johann Wolfgang von Goethes bevorzugt nach Italien, später auch nach Griechenland. Die humanistische bildungsorientierte Gesellschaft belohnte nicht nur das Wissen um Antike und Renaissance, sondern insbesondere auch die Begegnung mit ihren Zeugnissen in situ mit entsprechender gesellschaftlicher Reputation.
Daher rührt vor allem im bildungsbürgerlichen Milieu die Vorstellung, dass Reisen ein geeignetes Mittel gesellschaftlicher Distinktion sei.
Kommerzialisierung des Reisens
Die Kommerzialisierung des Reisens setzte dann um 1900 ein. Seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts wird der Begriff Bildungsreise zunehmend vom Begriff Studienreise verdrängt. Mag sein, dass sich damit dieses Reisesegment noch stärker vom aufkommenden Massentourismus abheben wollte. Insgesamt bilden Bildungs- und Studienreisen ein eher kleines Segment innerhalb des Tourismus - im Unterschied zu Kunstreisen, einem jungen Segment mit derzeit starkem Wachstum.
Es macht daher in meinen Augen wenig Sinn, Gästen vordergründig barocke Fassaden, Gebäude und Kunstwerke zu präsentieren und sie mit historischen Daten zu beeindrucken suchen. Das interessiert immer weniger Reisende und die, die es interessiert werden sich künftig immer mehr via Augmented Reality Apps in Verbindung mit bspw. WikiTravel und Smartphone informieren oder gleich via Google Glases. Was übrigens eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für die City Guides bringen wird.
Der Begriff Tourismus ist im Englischen um 1800 nachzuweisen. In den deutschen Sprachgebrauch findet er gegen 1830 Eingang. Es sollten aber noch 156 Jahre vergehen, bis der Begriff “Kulturtourismus” 1986 im Rahmen des Asam-Jahres in Niederbayern geprägt und dann bald schon in Förderprogrammen der EU verwendet wurde. [7] Um diesen Begriff herum entstand ein nicht geringer Hype, der neben Tagungen und Forschungen mittlerweile auch Studiengänge hervorgebracht hat.
Ambitionen und Ernüchterungen
Kulturreisen, insbesondere Studienreisen zielen in der Regel auf Reiseziele von nationaler und internationaler Bedeutung. Solche von lokaler und regionaler Attraktivität bleiben außen vor. Zumeist stehen sogenannte materielle Kulturdenkmale im Fokus, wie Gebäude, Ensembles und Kunstwerke, aber auch immaterielle, wie Musik, Theater und Brauchtum. Entsprechend ist der UNESCO Titel “Weltkulturerbe” die wohl attraktivste Auszeichnung und eines der wertvollsten Assets.
Drei Städte in Österreich tragen diesen Titel: Wien, Salzburg und Graz, genauer deren Altstädte und drei Landschaften: der Neusiedlersee, die Wachau und die Hallstatt-Dachstein Region.
Und dennoch reicht selbst der Umstand “Weltkulturerbe” zu sein alleine schon lange nicht mehr aus, um sich im Tourismus erfolgreich zu platzieren. Mit zunehmender Erlebnisorientierung, einer in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts einsetzenden Entwicklung, ist Bildungs- und Kulturgut für sich genommen nicht mehr ausreichend attraktiv, bzw. nur noch für einen sehr kleinen Teil Reisender. Der Umstand, dass Städte, Bauwerke, Kunstwerke etc. zum Bildungskanon gehören veranlasst immer weniger zu einer Reise - es sei denn der Besuch, bzw. die Begegnung mit diesen Objekten führt zu einem besonderen Erlebnis, bzw. ist eingebettet in ein Gesamterlebnis. Erlebnis ist nicht - um Fehldeutungen zu vermeiden - gleichzusetzen mit Event oder Eventisierung, auch wenn das gerade im Tourismus immer wieder gerne verwechselt wird. Events können Teil einer Erlebnisinszenierung sein.
Passau hatte sich 2010/11 für den Titel “Weltkulturerbe” beworben. Im Vorfeld meinte der Politiker und Jurist Alexander Muthmann: „Der Naturforscher Alexander von Humboldt hat Passau mal als eine der sieben schönsten Städte der Welt bezeichnet. Da werden wir diese Stadt ja wohl auch unter den knapp über 900 Weltkulturerbe-Denkmälern unterbringen.“
Nicht schlecht staunten die Proponenten daher über die Ablehnung ihres Antrags. Die Kommission formulierte in ihrer Begründung: „Eine Anmeldung von Stätten dieser Kategorie muss im Hinblick auf die Erfolgschancen einen zweifelsfreien universellen Wert nachweisen und eine noch bestehende Lücke in der Welterbeliste füllen. Im Hinblick auf den Erhaltungszustand kommen in dieser Kategorie nur Vorschläge näher in Betracht, die höchsten Ansprüchen an Integrität und Authentizität genügen.” Dazu komme, dass „historische Altstädte oder Teile davon in der Welterbeliste bereits überdurchschnittlich gut repräsentiert“ seien.”
Dies ändert nichts daran, dass die ehemalige fürstbischöfliche Residenzstadt Passau nicht nur eine schöne und liebenswürdige Stadt mit südlichem, barocken Flair ist und Kulturgüter von nationalem Rang vorzeigen kann, sondern auch einen hohen Bekanntheitsgrad hat, auch wenn dieser Bekanntheitsgrad im Wesentlichen den Berichten über das jährliche Hochwasser und dem politischen Aschermittwoch des CSU geschuldet ist.
Linz war, eine kurze Phase ausgenommen, nie wirklich Residenzstadt, sondern bis in die Anfänge des 20 Jahrhunderts eine kleine, sicherlich ebenso liebenswürdige Provinzstadt in der Verwaltung und Handel dominierten. Linz wird nicht anschließen können an die Weltkulturerbestädte Graz, Salzburg und Wien. Daran ändert auch die häufig kolportierte Bemerkung Hermann Bahrs aus dem Jahr 1923 nichts, dass der Linzer Hauptplatz zum Schönsten gehöre, was er kenne. Er kennt den Linzer Hauptplatz nicht, wie er sich uns heute zeigt. In diesem Zusammenhang sei auf den städtischen Vandalismus hinzuweisen, dem die 1672 erbaute Wollzeugfabrik 1969 zum Opfer fiel.
Auch die wunderschöne Donaulandschaft zwischen Passau und Linz wird es nicht auf die Liste österreichischer Weltkulturerbe Landschaften schaffen. Wichtig ist, dies so nüchtern zu sehen und weder sich selbst, der Bevölkerung noch Gästen etwas anderes vorzumachen.
Ich würde allerdings nicht so weit gehen, wie dies der Rektor der Kunstuniversität Linz und der vormalige Kulturdirektor der Stadt in einem Interview im Standard vom 23. Oktober 2007 im Vorfeld von Linz Kulturhauptstadt 2009 formulierten. “Linz ist keine Kulturstadt”. Ich zitiere weiter nach Standard: “ 'Und so fehlt das klassische Bildungsbürgertum', sagt Kannonier. Aus der Historie lasse sich 'das Manko für Kulturverständnis in der Bevölkerung erklären' ". Das sehe er, Kannonier aber nicht so tragisch, denn “keinen Rucksack der Vergangenheit mit sich zu tragen” böte für Linz zugleich eine einmalige Chance.
Auch Martin Heller, Intendant von Linz 2009, meinte laut Standard vom 22. Oktober 2007: “Denn ich akzeptiere nicht den Satz, ‚Wir sind von der Industrie- zur Kulturstadt geworden.‘ Denn Linz ist noch keine Kulturstadt. Und Linz soll auch nicht eine werden.”
Das ist nicht meine Sicht auf Linz, vor allem weil sie mit einem heutzutage verqueren Kulturbegriff arbeitet, der unter Kultur im Wesentlichen Hochkultur versteht und dies unsäglich mit Bildungsbürgertum verknüpft. Das passiert auch rund um das Linzer Musiktheater immer wieder.
Worin ich übereinstimme: In Linz ist das barocke kulturelle Erbe nicht wirklich von so hoher Bedeutsamkeit, dass sich die Stadt im Tourismus international damit prominent positionieren könnte. Wird das “Barocke Linz” im Verwertungsdruck touristischen Klapperns beworben, dann scheint der Begriff Barock schon sehr abgenutzt und durchgebracht zu sein. Damit ich das unmissverständlich formuliere: Auch wenn Linz nie zu den prominenten Barockstädten Mitteleuropas zählen wird, so ist das kulturelle Erbe der Stadt, darunter auch aus der Zeit des Barock doch Teil ihrer Besonderheit.
Meines Erachtens liegen die Stärken von Linz jedoch wo anders – und diese Stärken sind beachtlich, nicht nur mit Blick auf die Industrie.
Dieser Text entstand anlässlich der Tagung "Tourismus & Barock. Kunst, Kultur und das Lebensgefühl einer Epoche im Blick" 13./14. November 2014 auf Einladung des Tourismusverbands Linz
[1] P7_TA(2010)0008, E
[2] http://www.barockimdonauraum.eu/das-projekt/ [Zugriff 13.11.14]
[3] Vgl. Karl Möseneder, Michael Thimann, Adolf Hofstetter (Hg.) (2014), Barocke Kunst und Kultur im Donauraum, Petersberg
[4] Siebers (1999),48; zit nach Pröbstle (2014), 34
[5] Francis Bacon (1625): Essay of Travel; Aktuelle Ausgabe 1999
[6] Vgl. Pöbstle (2014),115
[7] Steinecke (2007), 2
Vielen Dank an Gerd Sollner und Wolfgang Theis für das Feedback und die Kommentare zum Text.
Conrad Lienhardt