Bologna Reform: Die ECTS Luftnummer
Um im Rahmen der Bologna Reform einen ersten akademischen Studienabschluss, den sog. Bachelor erwerben zu können, braucht es – zumindest in Österreich – einen Aufwand von 180 ECTS Credt Points. Ein ECTS Credit Point wird mit 25 sog. ‚Working Hours’ beziffert. Entsprechend wären für ein Bachelor Studium 4.500 Arbeitsstunden aufzuwenden. Diese Arbeitsstunden beinhalten sowohl Arbeitsaufwände bei Präsenzveranstaltungen, bzw. im Rahmen von E-Learning Aktivitäten, aber auch Aufwände im privaten Studium, also Vor- und Nachbereitungen, Klausurvorbereitungen, Aufgabenerledigung etc.pp. Während des Semesters kommt da unterm Strich eine Arbeitsbelastung von rund 40 Arbeitsstunden pro Woche heraus.
Absurd: Vollzeit– und berufsbegleitendes Studium im selben Zeitrahmen
Für Vollzeitstudierende sollte ein wöchentlich durchschnittlicher Studienaufwand von 40 Arbeitsstunden eher kein Problem darstellen. Für berufsbegleitend Studierende ist das eine enorme Herausforderung, insbesondere wenn sie Vollzeit arbeiten. Da summiert sich das auf eine Arbeitsbelastung von gut 80 Arbeitsstunden pro Woche — ohne Berücksichtigung von Fahrzeiten und Stehzeiten.
Dazu kommt, dass viele bereits Familie haben, gar nicht so wenige mit Hausbau, manche mit Unternehmensgründungen, andere mit Familiengründung usf. noch zusätzlich belastet sind.
An Fachhochschulen können die berufsbegleitend Studierenden die Studiendauer nicht beeinflussen. Es gibt zwar die Möglichkeit sich Karenzieren zu lassen, aber dann ist man an der Hochschule auch nicht tätig. Zu sagen, ich teile mir das so ein, dass ich mir nur die Hälfte der Arbeitsbelastung zumute und mir dafür dann doppelt so viel Zeit für den Studienabschluss nehme, ist nicht wirklich möglich.
Es ist nahezu absurd, zu glauben, dass Vollzeitstudierende und berufsbegleitend Studierende dasselbe Studium in der gleichen Zeit absolvieren können und dies ohne Qualitätsabstriche und mit gleichem Studienerfolg.
Die Praxis zeigt: ECTS hält nicht, was es verspricht
Bei nicht wenigen berufsbegleitend Studierenden reduziert sich das Studium faktisch auf die Präsenzphasen, die Klausurvorbereitungen und deutlich aufwandsminierte „Hausübungen”. Bei Präsenzphasen machen immer mehr Gebrauch von der Freizügigkeit im Bereich der Anwesenheitsverpflichtung. Selbst bei Seminaren mit Anwesenheitsverpflichtung wird großzügig von der sog. 80 Prozent Klausel Gebrauch gemacht. Tatsächlich dürfte der faktische Arbeitsaufwand für das Studium bei 60 Prozent der vorgesehen Arbeitsleistung liegen.
Wer behauptet, mit durchschnittlich 60 Prozent Aufwand dieselbe Qualifikation zu erreichen, wie andere bei 100 Prozent, macht sich selbst etwas vor, angefangen von den Studierenden, den Hochschulen bis zum Ministerium und der Hochschulpolitik. Zwar wird argumentiert, dass die im Beruf stehenden Studierenden reifer seien, zielstrebiger und besser organisiert. Das mag zu einem gewissen Teil stimmen und bei einigen Studierenden zutreffen. Aber Erfahrungen im Arbeitsleben schaffen per se noch keine Studienqualifikation.
Aufwandsminimierung statt Aufwandsoptimierung
Um diese Überforderung abfangen zu können wird Aufwandsminimierung betrieben. Es wird nicht so sehr studiert, sondern es werden Informationen für Prüfungen verarbeitet. Das Studieren nach der Bologna Reform kommt dem sogenannten ‚Nürnberger Trichter’ näher, als das Studieren jemals davor. Alles, was nicht wirklich sein muss, wird überwiegend in Frage gestellt und beiseite geschoben.
Nicht wenige Studierende erwarten, dass sich Curriculum und Didaktik dem Aspekt der Aufwandsminimierung unterwerfen.