Die Diskussion rund um die Finanzierung von OER im Rahmen von #COER13 hat mich veranlasst meine Gedanken dazu etwas zu sortieren.
Zugang zum Thema bekam ich über mein Mitwirken als Autor beim Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien (L3T). An diesem Bespiel waren Sandra Schön, Martin Ebner (die Herausgeber des L3T) und ich der Frage des Wertes und der Finanzierung dieses OER Projektes nachgegangen (Schön, S.; Ebner, M.; Lienhardt, C. (2011), Der Wert und die Finanzierung von freien Bildungsressourcen. - in: Virtual Enterprises, Communities & Social Networks. (2011), S. 239 - 250. (.pdf)).
Das Thema selbst interessiert mich als Marketer, Lehrender und Autor.
Mein Versuch einer strukturierten Herangehensweise
#1 OER stellen eine wertvolle Bildungsressource dar
#2 “Frei” zugänglich meint, dass die Materialien und die Medien, die es braucht, um sie nutzen zu können, allgemein und ohne Barrieren zugänglich sind und genutzt werden können.
Dies impliziert nicht, dass Materialien und Medien grundsätzlich “gratis” sind. Für die, die über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, ist “gratis” keine Voraussetzung für freien Zugang. Für jene, die nicht über die entsprechenden Mittel verfügen, könnte auf Modelle, wie bspw. den “Kulturpass” zurückgegriffen werden.
In einer Gesellschaft, die sich zunehmend nach ökonomischen Werten orientiert, ist der Preis eines Gutes ein nicht zu unterschätzender Aspekt der Wertzumessung. (Einwände, dass dies im Internetzeitalter an Bedeutung verlöre, weil dort massenhaft Güter, auch qualitativ hochwertige, kostenlos heruntergeladen werden können, sind nicht wirklich stickhaltig. In sehr vielen Fällen handelt es sich um rechtswidrige Aneignungen, mit anderen Worten um Diebstahl. Der Umstand, dass diese Form des Diebstahls weit verbreitet ist, bedeutet nicht, dass er dadurch bereits legitimiert ist. Selbstverständlich gibt es daneben ein stetig wachsendes attraktives Angebot zur kostenlosen Nutzung im Rahmen einer breiten Palette unterschiedlicher Lizenzmodelle.)
Ich messe der Frage der Preisbildung und Preisgestaltung und in diesem Zusammenhang auch der Frage der Konditionenpolitik Bedeutung bei.
#3 Produktion, Bereithaltung und Vertrieb von OER verursachen Kosten. (Auch “eh-da Kosten” [Sonja Gerber] sind Kosten.) Das sind Kosten der eigenen Arbeit, Materialkosten und Fremdkosten.
Kosten können letztlich nicht weggeredet werden, auch das Bemänteln ist untauglich. Denn nur wenn ich weiß, welche Kosten wo entstehen kann ich überlegen, ob und wie diese Kosten durch Optimierungen reduziert werden können. Kosten lassen sich nicht vermeiden.
Der Weg, den manche AutorInnen einschlagen, um “Kosten zu sparen” (gemeint sind jedoch Ausgaben, Geld), ist oftmals der, soweit möglich alles selbst zu machen (Lektorat, Korrekturlesen, Layout, Grafik, mediengerechte Bereitstellung, Marketing, Vertrieb etc.). Tatsächlich kommt es dabei zu einer Kostensteigerung, wenngleich auch nur der kalkulatorischen Kosten. Um wieviel länger braucht der Laie für ein professionelles Layout als ein erfahrener Grafiker? Allein bis die Funktionen selbst kostenfreier Desktop Publishing Software einigermaßen verstanden sind, braucht es viel Zeit. Oder bezogen auf bspw. digitale Vertriebswege: Welcher Autor verfolgt - sofern es nicht das eigene Fachgebiet ist - die in kurzen Entwicklungszyklen sich immer stärker ausdifferenzierenden digitalen Kanäle und die angebotenen Instrumente, um diese effektiv zu nutzen? Wer ist so routiniert, dass er Öffentlichkeitsarbeit und Marketing effektiv und dabei effizient einsetzen könnte? Wer hier im besten Sinne des Wortes “dilletiert” läßt sich dies “viel Zeit kosten", unnötig viel Zeit. Diese fehlt für die eigentlichen Forschungsarbeiten, Erwerbstätigkeit, Familie, Freunde, Hobbies etc. Auch wenn man dabei vermeintlich “Geld spart” kommt diese Produktionsweise oftmals sehr teuer. Daher auch die Bezeichnung “Selbstausbeutung".
#4 OER zielt nicht darauf, dass Leistungen von AutorInnen und aus den Bereichen der Produktion, der Bereithaltung oder des Vertriebs ehrenamtlich erbracht werden.
Aus dieser Zumutung muss sich OER schnell befreien. Dazu ist m.E. konsequent Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und letztlich auch Lobbying, wie das Verlage, die OA anbieten, selbstverständlich machen.
#5 Selbst wenn Eigenkosten, dort wo es sich um ehrenamtliches Engagement handelt, nicht finanziert werden müssen, bedarf es einer Finanzierung für Material und Fremdkosten.
Hier verlangt der Begriff “ehrenamtlich” Aufmerksamkeit. Nicht jede Selbstausbeutung ist gleichzusetzen mit ehrenamtlichem Engagement. Ehrenamtliches Engagement verlangt i.d.R. nach einem Ausgleich, z.B. in Form von Wertschätzung, Anerkennung oder Reputation. Wer ehrenamtlich arbeitet weiß, dass seine Arbeit werthaltig ist, auch wenn er dafür keine Rechnung legt, sondern seine Leistung entgeltlos einbringt. (Wenn in diesem Zusammenhang von “kostenlos” gesprochen wird, dann bezieht sich dies nicht auf den Leistungsersteller, sondern auf denjenigen, der die entgeltlose Leistung empfängt und dem daher dafür keine Kosten entstehen.)
Daher stellt sich die Frage nach dem Ausgleich für dieses ehrenamtliche Engagement. Reputation würde sich u.a. dafür eignen. Gemeint ist nicht ein mehr an fachlicher Reputation, sondern an “Sharing"-Reputation. In Personalbeurteilungsbögen beispielsweise ist man dazu übergangen, nicht nur die fachliche Kompetenz zu beurteilen, sondern auch die Bereitschaft und die Fähigkeit, diese zu teilen. Dabei werden nicht selten beide Kompetenzen gleich gewichtet.
Wer neben ehrenamtlicher Arbeit auch noch die Material- und Fremdkosten aus eigener Tasche bezahlt ist im Grunde als Mäzen unterwegs. Mäzenatentum ist großartig, wenn man es sich leisten kann.
Im Regelfall wird versucht, die zu erwartenden Ausgaben durch Förderzusagen, Spenden oder Sponsoring zu decken, bzw. nachträglich zu refinanzieren (je nach Risikobereitschaft). Sofern die Produkte kostenfrei erhältlich sind, muss eine Finanzierung gänzlich durch Dritte erfolgen. Fundraising ist jedoch aufwändig und verursacht selbst wiederum Kosten. Ebenso ist der Aufwand, der mit Förderanträgen und Förderabrechnungen etc.pp. verbunden ist ein teilweise heilloser.
#6 Damit OER erfolgreich ist, bedarf es eines Finanzierungsmodells, bzw. je nachdem unterschiedlicher Finanzierungsmodelle.
#7 Solange OER im Rahmen von Projekten realisiert werden, sind Fragen der Finanzierung Teil der Projektentwicklung. Bei Forschungsprojekten wären entsprechend OER Veröffentlichungen zu budgetieren. Das setzt voraus, dass die Finanzierung der Veröffentlichung von Forschungsergebnisse als OER durch die Förderrichtlinien nicht ausgeschlossen ist und damit abgerechnet werden können.
Außerhalb universitäter Forschung, bspw. an freien Forschungseinrichtungen oder privaten Bildungsinitiativen werden in noch höhrerem Maße als bei universitäter Forschung zusätzlich Drittmittel durch Sponsoren und Spenden erforderlich sein.
Auf dem Feld der Projektfinanzieung stehen OER Projekte denselben Herausforderungen gegenüber wie Kunst-, Sozial-, Gesundheits- und andere Bildungsprojekte. Dort gibt es jahrelange Erfahrung im Umgang mit Finanzierungsstrategien. Diese wären entsprechend zu adaptieren und zu ergänzen.
Die Rede von Geschäftsmodellen bezieht sich in erster Linie auf unternehmerische Herangehensweisen. Die Gründung eines OER Verlags wäre eine Möglichkeit. Die Entwicklung eines sog. Strategischen Geschäftsfeldes (SGF) OER im Rahmen eines bestehenden Schulbuchverlages wäre eine weitere Möglichkeit.
OER sagen an sich noch nichts über den Leistungsersteller, bzw. über die Rechtsform des Leistungserstellers aus. Das kann ein auf Gewinn ausgerichteter Verlag sein (auch wenn dieser womöglich Verluste macht), eine Nonprofit Organisation oder eine Privatperson. Es muss die Frage beantwortet werden, ob es genügt kostendeckend zu arbeiten oder ob Gewinne erzielt werden müssen, weil Gesellschafter und Eigentümer eine Rendite für Ihre Investition erwarten, oder ob man einzelne Projekte privat finanzieren will.
Ich vermute, dass auf absehbare Zeit mit OER keine Gewinne erzielt werden können. Daher läge es nahe, OER im Umfeld von Nonprofit anzusiedeln, was vielfach bereits passiert: So wird beispielsweise eine Buchreihe zu OER (O3R) vom gemeinnützigen Verein BIMS e.V. getragen.
#8 Der Staat, zu dessen hoheitlichen Aufgaben Bildung zählt, ist weder auf Bundes- noch Landesebene aus der Verantwortung zu entlassen. Er hat Entwicklungen im Bildungswesen Rechnung zu tragen und OER zu fördern.
#9 Es bedarf unterschiedlicher Strategien und Herangehensweisen, um einerseits den Staat in die Pflicht zu nehmen und andererseits Geschäfts- und Erlösmodelle am Bildungsmarkt erfolgreich zu platzieren.
Weblinks
Siehe auch die Beiträge von Sandra Schön: Finanzen und OER ein paar Gedanken #COER13 und Was kostet eigentlich ein Schulbuch? Was kostet ein OER-Schulbuch?
Crowdfunding schulbuch-o-mat via Startnext.de
Nachtrag:
Ich lade ein, im Etherpad bei den Überlegungen mitzuwirken: https://farfalla.etherpad.mozilla.org/7.
Zumdem würde ich mich über kritische und weiterführende Kommentare freuen, die mich ggf. veranlassen, das eine oder andere umzuformulieren, zurechtzurücken, zu streichen oder anzufügen, vielleicht auch neu zu beginnen.
Martin,
Enzyklopädien sind schon ein Sonderfall. Ich habe bspw. am RGG, einer Lexikonreihe, bei der 5. Aufl. mitgearbeitet. Es hat Jahre gedauert, bis mein Beitrag nach zahlreichen Reviews und Druckvorbereitungen endlich gedruckt vorlag. In dieser Zeit hatte sich, was die wissenschaftlichen Erkenntnisse angeht, aber schon wieder einiges getan. Beim Brockhaus waren die Vorlaufzeiten wohl ähnlich. Das hat enorme Summen verschlugen und war nicht mehr finanzierbar. Ich bin überzeugt, dass die gedruckte Ausgabe des Brockhaus - ob mit oder ohne Zutun von Wikipedia - eingestellt und in digitaler Form aufbereitet worden wäre. Wikipedia hat das aber beschleunigt.