Eine im Rahmen des Expertenworkshops #L3T in Bad Reichenhall Anfang Juni formulierte These lautete, dass Hochschulen - und wohl auch mittlere und höhere allgemein- bzw. berufsbildende Schulen - à la longue ihr Zertifizierungs-Monopol verlieren werden.
Öffentliche Hochschulen haben zweifellos noch ein Zertifizierungs-Monopol, wie auch mittlere und höhere Schulen eines besitzen, z.B. bezogen auf eine Ausbildungskarriere, an deren Ende ein Hochschulabschluss stehen soll. Doch dieses Monopol zergeht. Schon vor langem haben die Universitäten ihr alleiniges Zertifizierungs-Monopol für akademische Weihen und damit den Zugang zur Bildungselite verloren und teilen bspw. die Zertifizierungsrechte für BSc und MSc nun mit immer mehr Institutionen am Bildungsmarkt, wie z.B. Fachhochschulen und Privatuniversitäten. Allein das Promotions- und das Habilitierungsrecht bleiben vorerst noch den Universitäten vorbehalten.
In Österreich setzt sich dieser Trend weiter fort. So wird beispielsweise diskutiert, neben Fachhochschulen und Universitäten für die Lehrerbildung einen weiteren Hochschultyp zu schaffen, dessen Stellenwert zwischen Fachhochschule und Universität angesiedelt sein würde und für die der Begriff „pädagogische Universität” kursiert. Dann gibt es bereits Bestrebungen Berufsakademien die Möglichkeit einzuräumen, Lehrlinge zu graduieren und diesen damit den Zugang zu akademischen Abschlüssen deutlich zu erleichtern. Nicht zu übersehen sind die mittlerweile zahlreiche Organisationen, die einen MBA (Master of Business Administration) als akademischen Abschluss anbieten.
Das Zertifizierungs-Monopol von Hochschulen löst sich m.E. in Richtung Zertifizierungsmarkt auf. Um sich auf diesem Markt behaupten zu können, werden z.B. Universitäten am verbliebenen Zertifizierungs-Monopol zu promovieren und zu habilitieren festhalten wollen und aus demselben Grund werden andere Bildungseinrichtungen versuchen, dieses Monopol zu brechen, bzw. daran zu usurpieren. D.h. die Auflösung der Zertifizierungs-Monopole ist Folge einer nur teilweisen Liberalisierung des Bildungsmarktes mit stark zunehmender Wettbewerbstendenz. Im Zuge dieser Liberalisierung wird die Herausforderung der Qualitätssicherung immer größer. Damit gewinnt das Akkreditierungsmonopol eine zentrale Bedeutung (bspw. für Dtld. der Akkreditierungsrat und die Akkreditierungsagenturen, in Österreich für Privatuniversitäten der Österreichische Akkreditierungsrat und für Fachhochschulen der Fachhochschulrat).
Künftig wird neben den Zertifizierungs-Monopolen das Akkreditierungs-Monopol eine der zentralen Herausforderungen darstellen.
Durch die Ökonomisierung des Bildungssystems und zunehmend ökonomische Bedeutung des Bildungsmarktes stehen nicht mehr zwingend Bildungsstrategien im Vordergrund, sondern die wirtschaftlichen Interessen der Bildungsträger und selbstverständlich eine parteiideologisch getriebene Bildungs- und Klientelpolitik.
Es stellt sich daher die Frage, ob wir vom Regen in die Traufe kommen werden.
Herausforderung: Zertifizierung informell erworbener Kompetenzen
Das Akkreditierungsmonopol bezieht sich auf Organisationen und Bildungsunternehmen, daher auf formelle, strukturierte Bildungs- bzw. Ausbildungswege. Entsprechend beziehen sich die Zertifizierungen weitgehend auf formale Bildung. Ausbildung und Bildung finden längst aber auch außerhalb formaler Bildung statt. Hier sind u.a. betriebliche Bildungsprozesse zu nennen, auch der private Kompetenz- und Bildungserwerb, wie wir ihn beispielsweise häufig im Umfeld von Entrepreneurship antreffen ist hier von Bedeutung. Ich denke nicht, dass es sinnvoll ist, Menschen, die Kompetenzen informell erworben haben nachträglich einem formalen Zertifizierungsweg über Bildungsträger und Bildungseinrichtungen zu unterwerfen.
Vielmehr gehe ich davon aus, dass künftig der informelle Kompetenzerwerb zunehmend an Bedeutung gewinnen wird. Open Educational Ressources (OER), OpenLearn, OpenCourseware (OCW) usf. werden nicht nur ergänzend und begleitend zum formellen Kompetenzerwerb auf formalen Bildungswege genutzt werden, sondern zunehmen außerhalb dieser.
Es gibt allerdings kaum Erfahrungen mit Dokumentation und Zertifizierung von Lernen, das sich außerhalb formalisierter Bildung in offenen Kontexten vollzieht (Vgl: Severing, E., 2009, S. 45) Ich pflichte Severing bei, dass sich „aufgrund seiner Individualität und Kontextbezogenheit […] informelles Lernen nur über die Lernergebnisse, nicht jedoch über den Lernweg mit normalen Bildungsgängen vergleichbar machen [lässt].” (ebd.) Hier wäre ein Punkt erreicht, an welchem überlegt werden müsste, ob die Zulassung zu z.B. Examina abhängig bleiben soll von einem curricular formalisierten Weg oder ob unabhängig von der Quelle und des gewählten Weges des Kompetenzerwerbes Lernende zugelassen werden sollten — klarerweise mit demselben Leistungsanspruch bezogen auf den erforderlichen Grad der erworbenen Kompetenz.
Diese Entwicklung wird die Diskussion um Zertifizierungs- und Akkreditierungs-Monopole unter einem weiteren Aspekt voran bringen und hoffentlich dynamisieren.
Lieber Conrad,
ich bin nun nicht gerade ein Spezialist für diese Fragen, doch ein wenig kann ich auch dazu sagen. Ich denke, die Hochschulen, der tertiäre Sektor, sind sehr stark, sie sind sehr zünftisch organisiert und sie halten mit allen Mitteln daran fest. Ihre Stärke ist schon daran ersichtlich, dass alle anderen dorthin streben. Tertiäre Abschlüsse als Orientierung in der und für die Arbeitswelt werden sehr bedeutsam bleiben, zumindest in dem Segment, für welches diese Abschlüsse zählen. Wenn das Feld der Abschlüsse zu unübersichtlich wird, werden die Rankings an Bedeutung zunehmen. Bei den Verhandlungen zum europäischen Qualifikationsrahmen, EQR, und auch zum nationalen NQR wollen die Vertreter der Universitäten den Bereich der höheren Abschlüsse selbst kontrollieren und bestimmen, und das gelingt ihnen, soviel ich weiß, bisher auch.
Der Trend zu höheren Abschlüssen hängt zum einen mit der zunehmenden Verwissenschaftlichung der Lebenswelt, der Wissensgesellschaft zusammen, zum andern mit einem generationellen Aspekt des sozialen Aufstiegs, weil die akademische Tätigkeit als höherwertig, besser bezahlt und freier von Zwängen gesehen wird, also insgesamt als Freiheitsgewinn. Wie lange sich diese Strömung hält, ist schwer vorauszusagen, gegenwärtig zeigt sich schon, dass ein Teil der tertiär Ausgebildeten keine den hohen Erwartungen entsprechenden Jobs findet bzw. eine sehr lange Suchzeit benötigt. In Österreich ist aber doch die Einkommensdifferenz der tertiären zu anderen Ausbildungen sehr groß, die viertgrößte im gesamten OECD-Raum, zu den Zahlen siehe „Education at a Glance“.
Die OECD und auch die EU gehen zuletzt stärker in eine Richtung der Verbindung von akademischen und beruflichen Ausbildungen, der avisierte 40% Anteil tertiär Ausgebildeter an einem Jahrgang wird in Frage gestellt, der duale Ansatz wie in Österreich favorisiert, mit Anschluss, wie auch hier in den Berufsakademien, die von der WKÖ propagiert werden, ähnlich wie in Deutschland. Herauskommen soll ein „Bachelor Professional“, der allerdings nicht dem Bologna-Bachelor gleichwertig ist. Die WKÖ verspricht sich davon eine Sogwirkung für die Lehrausbildung. Ihr Problem ist angesichts der demografischen Entwicklung ein Austrocknen des Lehrlingsmarktes. Wir haben gegenwärtig Jahrgangsgrößen von 90tsd, vor einiger Zeit waren es noch 120tsd.
Österreich ist ja kein „Innovation Leader“, sondern ein „Innovation Follower“, wir haben keine blue-sky-Universitäten und was am Arbeitsmarkt gefragt ist, sind eher post-sekundäre und nur gering universitäre Ausbildungen, aber wenig Spitzenforschung, so zumindest einschlägige Studien, etwa von Arthur Schneeberger vom IBW, also etwa das Feld der Fachhochschulen. Die technischen Universitäten etwa bilden, laut Schnneberger, zu lang und zu sehr in die Tiefe aus. Dem entsprechen auch die Budgets der Unternehmen. Die VOEST ist das forschungsintensivste Unternehmen in Österreich, mit, soviel ich weiß 130 Mio € im Jahr, bei Nokia sind es 5 Mrd € - so viel zu den Größenordnungen. Die EU, genauer Cedefop, gibt laufend Prognosen heraus, „Skills Supply and Demand up to 2020“, nach denen in Österreich in diesem Jahrzehnt die Nachfrage nach nicht-tertiärem technischen Personal (ISCO 3) und Hilfstätigkeiten (ISCO 9) am stärksten anwachsen wird. Es wird jedoch einen sehr starken Trend zu tertiären Ausbildung geben. Daraus ist zu vermuten, dass selbst hoch gebildete Menschen am Arbeitsmarkt auf Hilfstätigkeiten verwiesen sein werden. Wir sind gerade dabei, das von WIFO und IHS begutachten zu lassen. Jedenfalls ist sicher , dass Österreich stark „anwendungsorintiert“ bleiben wird und damit wird wohl die Position der Unis, wie du richtig sagst der Zuteiler von Doc- und Postdoc-Diplomen unbestritten bleiben, auf der Ebene darunter wird es sich ziemlich herumtummeln. Meine Position dazu ist: jeder soll sein Diplom kriegen. Das macht die Menschen glücklich und stolz und zufrieden. Materiell kann es sein, dass sie dann allerdings enttäuscht werden.
Es gilt, dabei auch die globale Entwicklung zu bedenken. Forscher sprechen von der Taylorisierung der digitalen Arbeit, des shifts vom knowledge work zur working knowledge. Das Konzept des Nordens von high skills high paid und Südens low skills low paid wird abgelöst durch globales high skills low paid. In China studieren gegenwärtig mehr junge Menschen als in Europa und den USA zusammengenommen, sie sind eifrig, arbeiten hart und sind enorm aufstiegs- und zukunftsorientiert. Große Unternehmen, die global aufgestellt sind, nutzen das schon längst, vgl. http://www.skope.ox.ac.uk/publications/towards-high-skilled-low-waged-workforce, Autoren Brown und Ashton. Wir brauchen nicht glauben, dass es für uns nur schön und ohne Folgen ist, wenn wir bei H&M das Leiberl um 3€ kaufen können.
Soweit einige Gedanken, insgesamt stimme ich dem, was du schreibst zu.
Liebe Grüße, as