Herausforderung: Beurteilungen auf Basis von Gruppenarbeiten
Bei integrierten Lehrveranstaltungen ist kooperatives Lernen, vulgo Gruppenarbeit das angesagte didaktische Instrument. Seit 2007 versuche ich kooperatives Lernen sowohl in Präsenzveranstaltungen als auch asynchron über digitale Kanäle zu gestalten, weiter zu entwickeln und zu optimieren. Vorweg schicken will ich, dass ich themendifferenzierte Gruppenarbeit favorisiere, d.h. dass Gruppen unterschiedliche Aufgaben und Projekte mit vergleichbarem Leistungsanforderungsniveau bearbeiten.
Die Gruppenbildung
Eine erste Herausforderung ist die Gruppenbildung. Viele Studierende bevorzugen es, die Gruppen selbst zusammenzustellen. Dabei wird hin und wieder schon die Vorgabe der Gruppengröße als Einschränkung erlebt. Begründet werden die Gruppenbildungen meist damit, dass sich diese Gruppen bereits bewährt hätten und die Gruppenmitglieder aufeinander eingestellt seien. Insbesondere berufsbegleitend Studierende argumentieren zudem mit dem Hinweis auf räumliche Nähe und Fahrgemeinschaften.
Auf etwas Widerstand stößt ein alternativer Gruppenbildungsprozess, bei welchem - unter Rücksicht auf das soweit bekannte Studienengagement einzelner - jeweils die Gruppenleiter bestimmt werden und diese dann ihre Gruppen zusammenstellen.
Der Ablauf: Jede_r Gruppenleiter_in wählt zunächst ein Gruppenmitglied. Dann, nachdem alle anderen ebenfalls gewählt haben, wird ein weiteres gewählt usf. (Vielen ist das System aus Ballspielen, wie Völkerball, bekannt).
Diese Variante benutze ich dann, wenn das Setting einen Wettbewerb zwischen den Gruppen vorsieht und quasi Leistungsgruppen gebildet werden sollen.
Allerdings kann es durchaus dazu kommen, dass sich wiederum die gewohnten Gruppenkonstellationen bilden und der Kommodität der Vorzug gegenüber einer Leistungsgruppe gegeben wird.
Wenig beliebt ist die Gruppenvorgabe, d.h. die Studierenden werden entweder per Zufallsprinzip Gruppen zugeteilt oder die Gruppenbildung berücksichtigt bspw. eine gleichmäßige Geschlechterverteilung usf. Auf persönliche Präferenzen wird dabei grundsätzlich nicht eingegangen.
Die Gruppenbildung - Eine Intervention
Die Studierenden werden zu Beginn des Gruppenbildungsprozesses darauf hingewiesen, dass zur “Halbzeit” einzelne Gruppenmitglieder ausgetauscht werden können. Im Vordergrund steht dabei, dass sich Gruppen und betroffene Studierende schnell auf veränderte Situationen einlassen, Gruppenrollen zügig erfassen und sich in ein laufendes Projekt schnell einzugliedern lernen. Diese Intervention bietet sich insbesondere dann an, wenn die Gruppen an unterschiedlichen Projekten arbeiten.
Allerdings kommt es schon einmal vor, dass sich Trittbrettfahrer verschiedener Gruppen dann in einer Gruppe versammelt finden. Trittbrettfahrer sind dabei jene, die auf Kosten der anderen Gruppenmitlieder ihren Aufwand reduzieren, tlw. sich überhaupt nicht einbringen. Eine Gruppe aus Trittbrettfahren schafft ein Dilemma: Wenn sich keiner bewegt, dann wird kein Gruppenmitglied die Lehrveranstaltung positiv abschließen können. Die Gruppendynamik kann dabei durchaus spannend sein, auch die Versuche, sich gegen diese Konfrontation zur Wehr zu setzen. Der mögliche Lernerfolg ist allerdings nicht zu unterschätzen. Bewährt hat sich in solchen Fällen eine abschließende Reflexion.
Die Beurteilung der Gruppenleistungen
Beurteilt wird vorrangig, inwieweit es Gruppen gelingt, die Aufgabenstellung inhaltlich entsprechend und methodisch nachvollziehbar zu erarbeiten, also das Ergebnis. Bei Präsentationen steht der Inhalt und die Struktur im Vordergrund, nicht das grafische Design oder Animationen. Als bevorzugte Präsentationsform wird Pecha Kucha genutzt. Die ausführliche Dokumentation der Ergebnisse erfolgt im Gruppenbereich des ePortfolio.
Ähnlich gewichtet wird der Arbeitsprozess des kollaborativen Arbeitens, insbesondere die Nutzung von Instrumenten zur asynchronen Kommunikation und Kollaboration. Instrumente die wahlweise zum Einsatz kommen sind Wiki, Blog, Forum, Google Drive, Etherpad. Die Nutzung des ePortfolio-Systems ist vorgegeben. Ziel ist es, dass die Gruppenarbeit und die Ergebnisse über diese Medien nachvollziehbar sind. (Ein Teil des Portfolio dient als Beurteilungsportfolio, d.h. die entsprechenden Seiten sind spätestens am Ende der Lehrveranstaltung für den Lehrenden freizugeben.)
Die Beurteilung von Einzelleistungen in Gruppen
Letztlich muss aber jede_r einzelne Studierende_r am Ende der Lehrveranstaltung eine Note bekommen. Die wohl pragmatischste Beurteilung der Einzelleistung ergäbe sich, wenn jedes Gruppenmitglied die Gruppennote erhielte, unabhängig von der eigenen Performance innerhalb der Gruppenarbeit.
Man könnte unterstellen, dass die Gruppe selbstregulierend agiert, d.h. Trittbrettfahrer und Aufwandsminimierer beispielsweise nicht so ohne weiteres gewähren lässt und darauf achtet, dass alle Gruppenmitglieder symmetrischen Anteil am Gelingen der Arbeit haben.
Davon kann aber nicht ausgegangen werden, denn die Leitung von Gruppen und das Arbeiten in Teams will gelernt sein. Das ist eben keine Frage der Improvisation und der Temperamente.
So gab es Fälle, in welchen Konflikmoderation durch den Lehrenden angefragt wurde. Fallweise beschwerten sich auch Gruppenmitglieder, dass die ganz Arbeit bei ihnen “hängen bliebe” und sie nicht einsähen, dass andere dann unverdientermaßen dieselbe Note erhielten wie sie selbst. Es ist vorgekommen, dass Studierende sich über Gruppen hinweg auf ein “stressfreies Engagement” einigten und kollektiv den Weg des geringst möglichen Aufwands suchten, in der Hoffnung, dass bei vergleichbaren Niveaus der Gruppen nicht die faktische Leistung sondern die relative Leistung bewertet werden würde, mithin alle trotz wenig Engagement gute Noten erwarteten.
Wie anonyme Befragungen zum Zeitpunkt der Beurteilung der jeweiligen Leistungen ergaben, funktioniert in der Regel die Gruppenarbeit aus Sicht der Gruppenbeteiligten. Wie sich zeigt gelingt dies umso eher, je deutlicher Instrumente zur Identifizierung der Einzelleistung und die Bereitschaft diese anzuwenden zu Beginn der Gruppenarbeiten mitgeteilt werden.
Es hat sich bewährt über die Gruppenarbeit hinaus eine klare Einzelleistung zu verlangen: das konsequente Führen eines Lernblog. Darin sollen die Studierenden die Gruppenarbeit und die Lernprozesse nachbereiten und reflektieren.