Sind Zwischennoten zielführend?
Diese Frage habe ich mir im Rahmen integrierter Lehrveranstaltungen mit immanenter Beurteilung schon vor Jahren gestellt. Seither habe ich versucht die Frage mehr oder weniger systematisch zu bearbeiten und für mich eine Antwort darauf zu finden.
Feedback, aber keine Benotung
In diesen Lehrveranstaltungen gibt es neben Inputs vor allem Aufgaben, die gelöst und bearbeitet werden müssen, aber eben keine Klausur. Da die Zahl der TeilnehmerInnen jeweils überschaubar war, konnte ich zuletzt allen Studierenden auf jede Einreichung ein schriftliches Feedback geben. Davor waren es ausschließlich mündliche Rückmeldungen. Das ePortfolio-System Mahara unterstützte mich dabei. Das Feedback war inhaltlich, lieferte also keine Benotung oder schulgemäße Bewertung der Leistung.
Immer wieder kam es dabei vor, dass vereinzelt Studierende damit unzufrieden waren und auf eine Bewertung drängten. Da die Bewertung ausblieb, versuchten diese das Feedback selbst in eine Note „umzurechnen” und zeigten sich fallweise indigniert oder erbost, weil sie sich eine bessere Beurteilung erwartet hätten, ohne aber eine tatsächliche Beurteilung zu kennen.
Benotete Teilleistungen führen zu keinen besseren Endergebnissen
Das Drängen auf Benotung einer Reihe von Teilleistungen solle, so wurde argumentiert, den Studierenden dabei helfen, sich entsprechend zu orientieren, um am Ende eine sehr gute Leistung attestiert zu bekommen, also nach Möglichkeit ein „Sehr gut”. Mit anderen Worten, die Benotung von Teilleistungen würde helfen, die Leistungen zu optimieren.
Meine Erfahrung konnte das nicht bestätigen. Ich hatte vor Jahren damit begonnen, sämtliche Teilleistungen mitzuteilen und die Entwicklung des Punktestandes transparent zu machen. So konnten die Studierenden ablesen, wie gut sie unterwegs waren und mit welcher Note sie im besten Fall noch rechnen konnten. Für die Aufwandsminimierer bot dies eine Möglichkeit den minimalen Aufwand genauer abzustimmen, um letztlich die Lehrveranstaltung noch positiv abschließen zu können. Die Strebsamen und ehrgeizigen Studierenden hingegen sahen sich einem ziemlichen Leistungsdruck ausgesetzt, im Sinne von: „Geht sich die gewünschte Note noch aus?” So passierte es immer wieder, dass um jede Teilnote gerungen werden sollte, was letztlich unproduktiv und zermürbend war.
Nachdem die Gruppenergebnisse in die benotete Schlussbeurteilung einfließen, sind Gruppen mit dem Stress einzelner konfrontiert. So wollte bspw. ein Studierender seine Mitarbeit an einer weniger gut arbeitenden Gruppe einstellen, sich auskoppeln und die Zeit gleich für eine Nachprüfung aufwenden, in der letztlich alleine seine eigene Leistung bewertet werden würde.
Es hat sich gezeigt, dass die Mitteilung von benoteten Teilleistungen durchaus zu besseren, wenngleich nicht signifikant besseren Einzelbeurteilungen am Ende der Lehrveranstaltung führten, der Outcome letztlich aber unbefriedigender blieb, als in Vergleichsfällen, in welchen die Noten für Teilleistungen nicht mitgeteilt wurden.
Fähigkeit zur Selbsteinschätzung ist gefragt
Ein weiterer Aspekt scheint mir wichtig. Studierende sollten Ihre Leistung selbst beurteilen lernen. Viele vermögen das und schätzen ihre Leistungen häufig sehr treffsicher ein, eher noch mit der Tendenz sich selbst strenger zu beurteilen. Auch das zeigte ein Feldversuch. Über zwei Semester hinweg habe ich im Anschluss an erbrachte Teilleistungen nach der Selbsteinschätzung gefragt.
Welche Rolle spielen Selbstwert und Selbstbewusstsein?
Es wäre interessant, in einer Studie, die wohl gemeinsam mit Psychologen durchzuführen wäre, zu untersuchen, ob und in welchem Ausmaß ein ausgeprägtes Bedürfnis nach benotetem Feedback nicht im Zusammenhang mit mangelndem Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl oder Selbstwirksamkeit zu sehen ist.
Jedenfalls habe ich mich entschieden, im Feedback zu Teilleistungen keine Noten oder Punkte mitzuteilen und mit der Unzufriedenheit und dem Unmut derer zu leben, die doch gerne eine Note auf jede Teilleistung schwarz auf weiß mit nach Hause nehmen möchten – zumal alle anderen mit einem persönlichen und inhaltlichem Feedback zufrieden sind.