Herr Kurz und Herr Kickl, das ÖVP / FPÖ Mastermind Duo der österreichischen Kurzzeitregierung (12.2017-5.2019) haben ganz offensichtlich einen Faible für Symbolpolitik. Nicht nur sie, aber sie dürften darin ein besondere Selbstbefriedigung finden. Kein Wunder, denn diese Art der Symbolpolitik scheint eine funktionierende Abkürzung darzustellen, zwischen Machttrieb und Machterhalt, ohne den Umweg einer diskursiven. vernunft- und verstandesorientierten Urteilsbildung. Entsprechend kommt die Symbolpolitik auch nicht über Vorurteile hinaus. Die Haltung könnte man als intelligentia praecox
klassifizieren, so man beiden und anderen, ähnlich ambitionierten Symbolpolitikern nicht üble Absichten unterstellen will.
Das Kopftuch ist zunächst der bäuerlichen Kultur verpflichtet
Wahrscheinlich hat die Großmutter des Herrn Kickl selbst noch ein Kopftuch getragen, wenn sie sonntags zur Kirche gegangen ist. Doch nicht nur dort. Am Land, in einer bäuerlichen Kultur war das bis in die 60er Jahr üblich. Es galt als unschicklich, das Haar offen zu tragen. Es galt als schicklich, dass Männer in der Kirche den Hut abnahmen und Frauen ein Kopftuch, zumindest einen Hut trugen. Das war Brauch, Teil einer ländlich, bäuerlich geprägten Kultur und niemand wäre auf die Idee gekommen, danach zu fragen, ob das in der Bibel, in Konzilsdokumenten oder Synodenbeschlüssen als religiöse Pflicht gefordert ist oder nicht.
Städter waren immer bemüht, vor allem jene, denen die bäuerliche Herkunft noch anzumerken war, sich von der Landbevölkerung zu unterscheiden. Anders als heute war die Landbevölkerung noch vor gar nicht so langer Zeit überwiegend bäuerlich. Das Ablegen von Kopftuch, das Verschwinden von Schürzen im öffentlichen Raum waren erste quasi-symbolische Täuschungsversuche, einfache Mimikri, kulturelle Quick-Wins. Das war auch einfacher zu bewerkstelligen, als das ländliche Mindset aufzugeben und in ein städtisches, womöglich gar urbanes Selbstverständnis hineinzuwachsen, eigene Rollenbilder loszulassen und das Abenteuer einer kulturellen Transformation einzugehen. So gibt es Stadtbewohner zur genüge, die so tun als ob, ohne tatsächlich Städter, Citoyans, zu sein, die schon beim ersten, leichten Kratzen an der Oberfläche zeigen, dass die städtische Lebenkultur aufgesetz ist, immitiert wird, um dazu zu gehören, um kulturelles Kapital hochzustapeln. Dieses ländlich-bäuerliche Mindset wird häufig vererbt. Es findet sich auch bei Strache, obzwar dieser im 3. Wiener Gemeindebezirk aufgewachsen ist, bei Kickl, der in Radentheim sozialisiert wurde und vielen anderen konservativ nationalen, rechtspopulistischen Politikern.
Österreich erlebt, was auch Istanbul erlebt
Sehr deutlich kann man seit gut zwanzig Jahren am Beispiel Istanbuls beobachten, wie durch Landflucht bäuerliche Lebensweisen, bäuerliche Kultur und Religionspraxis urbanes Leben immer mehr zurückdrängen und die Stadt kulturell deformieren. Das Problem mit rückständigen Vorstellungen, beispielsweise was die Rolle der Frau in der Familie und Gesellschaft anbelangt, den patriarchalen Herrschaftsanspruch des Mannes, was schicklich ist und was nicht, dieses Problem stellt sich seit Jahren der urbanen Bevölkerung Istanbuls. Auch hier versuchen Zuzügler ihre bäuerliche Lebenskultur und soweit möglich selbst ihre Lebensweise beizubehalten. Auch in Istanbul bündelten sich Landflüchtllinge aus Ostanatolien in bestimmten Stadtquartieren und versuchten dort unter vermeintlich besseren wirtschaftlichen Aussichten ihr traditionelles Leben weiterzuführen.
[Fortsetzung folgt …]
1 webmention
Webmention von: www.genba.org Besucher

https://www.genba.org/blogs/sudelbuch/wenn-landeier-in-die-stadt-ziehen
So reich an urbanen Kontexten ins Österreich nicht. Wenn Landeier mit ihrem teils grobem Sozialverhalten in die Stadt kommen, dann haben viele Städte zu wenig Urbanes, um dem etwas entgegenzusetzen. So bleiben diese Städte provinziell und verdörfeln.